Mitten in der Isarvorstadt:Mitteilsame Mumpfler

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Kunstpelz und chinesische Tierquäler, versnobte BWLer und speckige Lederhosen - der Frühling treibt bizarre Gesprächsblüten

Von Ulrike Steinbacher

Wenn die Sonne nachmittags wärmt, die Luft nach feuchter Erde riecht, die Vögel morgens um halb fünf verhalten zwitschern, wenn sich also ganz allmählich der Frühling bemerkbar macht, dann wird auch der Münchner - eigentlich ein großer Mumpfler, zumal im öffentlichen Raum - erstaunlich mitteilsam. Neulich zum Beispiel an der Trambahnhaltestelle Reichenbachplatz: Auf dem Sitz links nimmt ein älterer Herr Platz, wirft einen Blick auf den Kunstpelz am Anorak einer wartenden Dame und hebt an: Zum Glück werde es jetzt warm, da müsse er sich das da bald nicht mehr anschauen, das sei ja furchtbar. "Und wissen Sie, warum?" Der verwirrte Blick der Nachbarin ist ihm Ansporn genug fortzufahren. Er habe da neulich im Fernsehen diese Dokumentation gesehen. Über China. Und die Tierfarmen dort. Da werde kleinen Hunden bei lebendigem Leib das Fell abgezogen. Für solche Pelze. "Ist das nicht entsetzlich?"

Der Herr, der sich inzwischen auf dem Sitz rechts niedergelassen hat, nimmt den Faden auf. Wahrscheinlich animiert vom Thema Tierhäute, kommt er etwas unvermittelt auf "die ganzen BWL-er" zu sprechen, die da oben am Nockherberg sitzen "mit ihren 20-Euro-Lederhosen". Eine Halbe Bier allerdings würden sich diese Banausen dann fünf Euro kosten lassen. Das Thema Kosten ermuntert jetzt den Herrn links, die Lederhosen in seinem Besitz zu beschreiben. Er habe zwei, die helle habe er für 800 Euro erworben, die schwarze inzwischen seinem Sohn geschenkt, sie habe gezwickt. Ja, sagt der Herr rechts daraufhin versonnen, er habe von seinem Vater seinerzeit auch eine Lederhose bekommen, die sei schon ganz speckig gewesen vom Bier.

Wie dieser assoziative Dialog weiterging, konnte die Lauscherin leider nicht mehr verfolgen, ihre Straßenbahn kam um die Ecke. Aber bald ist richtig Frühling, dann können die beiden Herren ihre Lederhosen in den Biergarten tragen. Die Helle und die Speckige.

© SZ vom 26.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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