Mitten in der Au:Abheben in die Nostalgie

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Wehmütig wird es einem ums Herz beim Betrachten des Russenrads auf der Auer Dult. Ist nach dieser Saison wirklich Schluss, weil neue EU-Richtlinien es so wollen?

Kolumne von Renate Winkler-Schlang

Es steht eine Holzbank direkt gegenüber vom Kassenhäusl des Russenrads auf der Auer Dult. Die historische Orgel spielt und spielt, bis man fast den Drehwurm hat im Hirn. Die zentrale Engelsfigur haut im Takt auf ein Glöckchen. Trotz der Beschallung ist diese Bank ein wunderbar friedlicher Ort. Hier zu verweilen, versetzt einen zurück in alte Zeiten - in solche, von denen wahlkämpferische Politiker heute gerne sagen, damals sei München noch München gewesen. Ein alter Mann sitzt da mit Skizzenblock. Gestrickte Socken in Sandalen, Breitcordhose, abgewetztes Sakko, Käppi auf dem Kopf, ganz versunken in sein Tun. Eine Oma schaut hinauf zu ihrer Familie, die sich in einer roten Gondel des nur 14 Meter hohen Riesenrades hinauf zu den goldenen Blättern in den Bäumen bewegt. Die Enkel winken, die Frau aber hat keine Hand frei, sie will die Szene mit dem Handy festhalten.

Schon im Hochsommer, bei der Jakobidult, saßen wir auf dieser Bank, ganz wehmütig und bewusst Abschied nehmend von diesem nostalgischen Fahrgeschäft aus dem Jahr 1925, das schon so viel erlebt hat - sogar den Markusplatz in Venedig - und von dem es hieß, es drehe sich jetzt zum letzten Mal. Nun steht auf dem Schild mit dem Gruß der Betreiber, "nach dieser Saison" müsse Schluss sein. Neue EU-Richtlinien seien der Grund. Ob die vielen Leut' - die Paare in Tracht, die jungen Väter, die coolen Kids mit Zuckerwatte in der Hand - sich deshalb hier so drängeln?

Erwartungsvoll stehen sie an, lösen ihren Fahrschein bei der freundlichen Frau im gläsernen Kassenhäusl, lassen sich eine Kabine zuweisen, staunen, wenn bei ihnen ein Gewicht mit rein muss, damit das kleine Riesenrad auf seine alten Tage keine Unwucht bekommt und immer alles schön im Gleichgewicht bleibt. Sie alle eint eines: Beim Aussteigen haben sie ein Lächeln im Gesicht - trotz des Abschieds von dieser Attraktion, die ohne Superlative auskommt. Die ÖDP hat nun den Oberbürgermeister gebeten, das kleine Riesenrad zu retten, als "bewegliches Denkmal" etwa. Wir würden uns freuen und uns wieder einfinden im nächsten Jahr, bei der Maidult, auf der hölzernen Bank.

© SZ vom 23.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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