Mittelschulen in München:Gut ist nicht gut genug

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Gerade Mittelschulen setzen auf praxisnahen Unterricht mit vielen Projekten - nur ist davon in der Öffentlichkeit kaum etwas bekannt. (Foto: Robert Haas)

Intensive Betreuung durch den Klassenlehrer und sehr berufsorientiert: Mittelschulen bieten Bedingungen, die es an anderen Schulen so nicht gibt. Viele Eltern überzeugt zwar das Konzept - ihre Kinder melden sie aber dann doch nicht an. Hat die Mittelschule ein Imageproblem?

Von Melanie Staudinger

Eva-Maria Gaßner kann sehr viel über ihre Mittelschule an der Ridlerstraße berichten. Über die kleinen Klassen, die 15 bis 17 Schüler zählen. Über die zwei Sozialpädagogen, die sich um die Probleme der Jugendlichen kümmern. Über die engagierten Lehrer, die ihnen nicht nur Deutsch, Mathe und Englisch beibringen, sondern mit ihnen auch ins Museum gehen oder Fische in der Isar züchten. Wenn sie die Vorteile ihrer Schule bei Informationsabenden für die Eltern von Viertklässlern vorgetragen hat, ist es schon öfter vorgekommen, dass Mütter oder Väter ihr sagten: "Ihr Konzept hat mich schon überzeugt." Ihre Kinder haben sie aber trotzdem lieber auf ein Gymnasium oder eine Realschule geschickt.

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"Wir haben im Frühjahr meist um die 80 Anmeldungen", sagt Konrektorin Gudula Meyer. Tatsächlich stünden im September 50 Schüler da. Manche Eltern investierten lieber Tausende Euro in eine Privatschule, nur um die Mittelschule zu vermeiden. Diejenigen, die ihre Kinder an einer Mittelschule haben, seien hingegen sehr zufrieden. Mit dieser Situation kämpfen alle 44 Mittelschulen in München. Nur knapp 22 Prozent der Schüler gehen dorthin, 17,6 Prozent bevorzugen eine Realschule, fast 54 Prozent wechseln auf ein Gymnasium. Grundschullehrer berichten von einem starken Druck in den dritten und vierten Klassen, um jeden Punkt werde bei Klassenarbeiten gefeilscht, manchmal mit dem Anwalt gedroht.

Mehr Akademiker in München

Das ist nicht überall in Bayern so. Statistiken des Kultusministeriums zeigen ein starkes Gefälle. In der Oberpfalz, in Niederbayern oder Schwaben ist die Mittelschule akzeptiert: In Hof geht fast die Hälfte eines Jahrgangs dorthin, in Freyung-Grafenau sind es knapp 40 Prozent, ebenso in Amberg oder Weiden. In München gibt es mehr Akademiker-Familien und ein breiteres, wohnortnahes Schulangebot - daher besuchen mehrheitlich Kinder mit Migrationshintergrund oder aus sozial schwächeren Familien eine Mittelschule.

Auch die Mittelschule an der Ridlerstraße ist da keine Ausnahme: Der Ausländeranteil beträgt hier 90 Prozent, den 107 Mädchen stehen 163 Buben gegenüber. "Wenn die Kinder in der fünften Klasse zu uns kommen, müssen wir sie erst einmal motivieren", sagt Konrektorin Meyer. Sie fühlten sich als Versager, bräuchten Erfolgserlebnisse und das Gefühl, dass die Lehrer sie nicht längst aufgegeben hätten.

Die Mittelschule soll keine Resteschule werden

Verkommt die Mittelschule also zu einer Resteschule ohne Zukunft? Münchens Schulamtsleiterin Alexandra Brumann hat darauf eine klare Antwort: "Natürlich nicht", sagt die Frau, die für die Grund- und Mittelschulen in der Stadt verantwortlich ist. Die Mittelschule sei eine gleichberechtigte Schulart, deren Vorzüge in der Öffentlichkeit aber leider kaum wahrgenommen würden. Damit wolle sie gar nicht verschleiern, dass primär die "nicht ganz so leistungsstarken Kinder" auf eine Mittelschule kämen, Schüler, die in der vierten Klasse einen Notenschnitt von 2,66 oder schlechter hatten. Zudem ist die ehemalige Hauptschule eine Pflichtschule, die keine Jugendlichen ablehnt.

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Diese Kinder allerdings fänden Bedingungen vor, die es sonst an keiner Schule gebe, sagt Brumann. So sei die Berufsorientierung, der praktische, lebensnahe Unterricht fest im Lehrplan verwurzelt. Einzigartig in weiterführenden Schulen ist auch das Klassleiterprinzip. Wie in der Grundschule betreut ein Lehrer die Klasse, er weiß, mit welchen Schwierigkeiten die Schüler zu kämpfen und wo sie noch Defizite haben. "Es gibt Kinder, die sich in einer festeren Sozialstruktur besser entwickeln können", sagt Brumann. Außerdem ermögliche das Klasslehrerprinzip eine viel freiere Unterrichtsgestaltung. "Wenn unsere Lehrer merken, dass die Kinder Mathe noch nicht verstanden haben, machen sie einfach mehr Mathe", sagt Schulleiterin Gaßner. Das wäre unmöglich, wenn der Deutsch-Lehrer schon vor der Tür stünde.

Dass diese Vorteile in der Öffentlichkeit nur wenig bekannt seien, könnte am komplexen System der Mittelschule liegen, vermutet Brumann. Die eine Mittelschule an sich gibt es eigentlich nicht - sie ist vielmehr das Dach für verschiedene Klassentypen und unterschiedliche Abschlüsse. Die Schüler, die die neunte Klasse bestehen, bekommen den erfolgreichen Abschluss der Mittelschule. Wer freiwillig die Quali-Prüfungen macht, bekommt im Erfolgsfall den qualifizierenden Abschluss. Die Schulen bieten den M-Zweig an, der zum Mittleren Abschluss führt. Den qualifizierenden beruflichen Bildungsabschluss bekommen diejenigen, die einen Quali haben und zudem ihre Berufsausbildung mit einem bestimmten Schnitt abgeschlossen haben.

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Das System Mittelschule werde zu sehr danach beurteilt, wer sie nach der vierten Klasse besucht, und nicht danach, wie die Jugendlichen sich bis zur neunten Klasse entwickelten, sagt Brumann. Dabei biete das Konzept viele Chancen zum Aufstieg. Auch für schwächere Schüler: Für diejenigen, die nach neun Schuljahren keine Aussicht auf einen erfolgreichen Abschluss haben, gibt es Praxisklassen. Hier unterrichten Lehrer und Sozialpädagogen gemeinsam, die Prüfungen erhalten weniger Theorie. Die Übergangsklassen sind ein spezielles Angebot für Jugendliche, die gerade erst nach Deutschland gekommen sind. In den Deutsch-Förderklassen sitzen Schüler mit Sprachdefiziten. Manche Klassen kooperieren mit einer Förderschule, andere mit Realschulen.

Schulreform geglückt?

Die Kooperation ist vom Kultusministerium gewollt - ein Abschied vom dreigliedrigen Schulsystem sei das nicht. "Gemeinsamer Unterricht von Mittelschulen mit Realschulen in einzelnen Fächern unter einem Dach ist nicht die Auflösung des differenzierten Schulwesens", sagt Kultusminister Ludwig Spaenle. Er hält die Mittelschulreform für geglückt. Seit dem Schuljahr 2011/12 können sich Hauptschulen Mittelschulen nennen, wenn sie drei Kriterien erfüllen: Sie müssen ein Ganztagsangebot haben, den M-Zug sowie alle drei Zweige Technik, Wirtschaft oder Soziales. Die Schulen haben sich daher in München zu 13 Verbünden zusammengeschlossen.

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Seitdem hat sich die Zahl der Schüler, die einen M-Zug besuchen, erhöht: von 1642 in 2011 auf 2185 in 2014. "Das Konzept der Mittelschule funktioniert: berufliche Orientierung, das Klassenlehrerprinzip, die Möglichkeit eines Mittleren Abschlusses", sagt Spaenle. "Die Leute, die sagen, dass es nur ein neues Türschild gegeben hat, haben die Weiterentwicklung der Hauptschule einfach nicht verstanden - oder wollen sie nicht verstehen."

Auch die Stadt München glaubt an die Mittelschule. Die neue Schulbauoffensive sieht vor, fünf Standorte zu erweitern. Dabei sollen die Schulen pädagogisch weiterentwickelt werden: Mehr Ganztag, eine bessere Betreuung von immer mehr Flüchtlingskindern und Kindern mit Lernschwierigkeiten erfordern schlicht mehr Raum und modernere Klassenzimmer. Rektorin Gaßner würde sich wünschen, dass auch die Eltern mehr an die Mittelschule glaubten. "Das soll nicht heißen, dass wir für alle Kinder die richtige Schule sind", sagt sie. Aber es würde vielleicht vermeiden, dass die Schüler, die es am Gymnasium und der Realschule nicht geschafft haben, wieder bei ihr vor der Tür stehen. Dann beginne sie erneut, die Motivationsarbeit - und manchmal dauere es durchaus länger, bis die Jugendlichen wieder Selbstvertrauen fassten.

© SZ vom 12.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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