Mit Schutzanzug und Maske:Gefahr liegt in der Luft

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Die neu gegründete Einheit "Umweltdienst" der Münchner Feuerwehr rückt bei chemischen, biologischen oder atomaren Bedrohungen aus - bisher verliefen die Einsätze jedoch eher glimpflich

Von Linus Freymark

Auf einmal ist es still hinter dem Atemschutzgerät. Gerade eben noch hat der Mann hinter der Maske die Luft eingesogen, jetzt hört man nichts mehr. Nur noch das Knistern seines orangen Schutzanzuges. Dann geht es ganz schnell: Zwei Hände in Handschuhen greifen nach dem Luftfilter am Atemschutzgerät, mit einem Klacken löst er sich aus seiner Halterung. Dann nähern sich die Hände erneut dem Gesicht des Mannes. Wieder klackt es, als der neue Filter auf das Atemschutzgerät gesteckt wird. Während des Wechsels muss der Mann hinter der Maske die ganze Zeit ausatmen, sonst könnten giftige Partikel in seine Lungen gelangen. Jetzt zieht er dankbar die Luft wieder ein. Das Atemgeräusch ist wieder da.

Sebastian Loher hat das Vorgehen der Kollegen aus ein paar Metern Entfernung beobachtet. "Das haben sie gut gemacht", sagt er. Loher, 43, ist Brandamtsrat bei der Münchner Feuerwehr - und seit Anfang Juli neben seinen regulären Aufgaben Teil einer neu gegründeten Einheit: dem Umweltdienst, dessen größter Teil in der Feuerwache 2 an der Aidenbachstraße stationiert ist. Aufgabe der Einheit ist es, die Bevölkerung und die eingesetzten Feuerwehrleute vor atomaren, biologischen und chemischen Gefahren zu schützen. Wird bei einem Notruf etwa ein "undefinierbarer Geruch" gemeldet, wie es beim ersten Einsatz des Münchner Umweltdienstes der Fall war, rückt die Gruppe an und überprüft anhand von Proben den Ursprung des Geruchs. Um welche Substanz handelt es sich? Wo kommt sie her? Besteht eine Gefahr für die Menschen in unmittelbarer Umgebung? Die Männer und Frauen schätzen dann das Risiko für die beteiligten Personen ab und müssen sie im Ernstfall nach dem Verlassen der Gefahrenzone dekontaminieren.

Wenn's brennt, kommt die Feuerwehr - doch nicht nur dann. Die Männer und Frauen helfen auch, wenn Menschen aus dem Wasser oder von einem Kran gerettet werden müssen oder wenn potenziell bedrohliche Substanzen auftauchen. Für solche besonderen Fälle gibt es besondere Einheiten. (Foto: Robert Haas)

So wie jetzt bei der Übung in der Münchner Feuerwehrschule. Das Szenario: Der Kollege hinter dem Atemschutzgerät kommt gerade aus einem verseuchten Einsatzgebiet. Schicht für Schicht müssen sie dem Mann helfen, sich aus dem Schutzanzug zu schälen, ohne die eventuell kontaminierte Außenseite zu berühren. Zwei Feuerwehrleute stehen neben ihrem Kollegen, einer öffnet vorsichtig den Reißverschluss am Rücken des Mannes. Wäre er vorne angebracht, wäre das Risiko höher, dass durch die Ritzen Partikel eindringen. Dann ziehen die Feuerwehrleute dem Mann den Anzug herunter, danach helfen sie ihm aus seiner Uniformhose. Zum Vorschein kommen lange, dünne Beine und ein völlig verschwitztes Gesicht unter der Kapuze des Schutzanzugs. Durch den Anzug darf kein Luftaustausch stattfinden, unter dem Plastik wird es deshalb schnell unangenehm. Fünf bis zehn Minuten dauert die Prozedur bei einem eingespielten Team, bei Übungen wie dieser hier in der Münchner Feuerwehrschule aber kann es auch mal länger dauern.

Auch vor dem 1. Juli gab es bei der Münchner Feuerwehr Umwelteinheiten wie etwa die Analytische Taskforce, die in einem mobilen Labor gesammelte Proben untersucht und auswertet. Neu ist nun die Organisation: Die Führungsebene ist seit einem Monat rund um die Uhr besetzt, 20 Führungskräfte und 36 Feuerwehrleute gehören dem Umweltdienst an, erledigen aber weiterhin auch ihre regulären Aufgaben. Ihr Einsatzgebiet umfasst in etwa einen Umkreis von 200 Kilometern, womit die Münchner Feuerwehrleute im Zweifelsfall auch für Teile Baden-Württembergs zuständig sein und im Gegenzug eine in Mannheim stationierte Einheit Einsätze in Nordbayern übernehmen könnte. Ungefähr zwei- bis fünfmal am Tag geht in München ein Notruf ein, bei dem der Umweltdienst angefordert wird. Zu einem tatsächlichen Einsatz aber komme es deutlich seltener, erklärt Tobias Weigert, der als Leiter der Analytischen Taskforce zum Führungspersonal des Umweltdienstes zählt. "Zunächst versuchen wir es mit einer telefonischen Beratung", erklärt er. Wird klar, dass die Situation ernster ist, fährt Weigert mit einem kleinen Team zum Einsatzort. Der gesamte Zug wird erst im allerletzten Schritt aktiviert.

Sebastian Loher und Tobias Weigert gehören zur neuen Umwelteinheit der Feuerwehr, die in der Wache 2 an der Aidenbachstraße stationiert ist. (Foto: Robert Haas)

Sebastian Loher und Tobias Weigert sind beide keine gelernten Chemiker. Loher ist studierter Bauingenieur, Weigert hat die klassische Feuerwehrlaufbahn eingeschlagen. Ihr Wissen haben sie sich im Dienst angeeignet. Weigert, 40, hat bereits 2009 die Analytische Taskforce mit aufgebaut. Manchmal haben sie bei ihren Einsätzen mit Kampfgasen aus den beiden Weltkriegen zu tun, etwa wenn ein Bagger bei Bauarbeiten auf Rückstände von Sarin oder Senfgas trifft. Angst davor hätten sie nicht, erklärt Weigert, Respekt schon. Loher ergänzt: "Da muss man dann mit ruhiger Hand die Sache abarbeiten."

Neben dem großen Einsatzleitwagen und einem Umweltdienstwagen zählt nun auch das mobile Labor der Analytischen Taskforce zum Fuhrpark. Haben die Messtechniker der Einheit eine Boden- oder Luftprobe genommen, lässt Weigert sie im Labor durch ein spezielles E2M-Messgerät laufen, das ihm in wenigen Minuten sagen kann, welche chemischen Elemente sich darin befinden. Entweder wissen Weigert und seine Kollegen dann sofort, um welche Substanz es sich handelt, oder sie müssen in Datenbanken recherchieren. "Nicht jede Formel hat man im Kopf", erklärt Weigert. Im Ernstfall stehen er und die anderen bei ihren Nachforschungen unter enormem Zeitdruck.

Im mobilen Labor werden die verdächtigen Stoffe untersucht. (Foto: Robert Haas)

Doch zum Glück hatten Weigert, Loher und die anderen Mitglieder des Umweltdienstes in ihrem ersten Monat noch keine besonders gefährlichen Einsätze. Mitte Juli waren sie in Langwied, als dort ein Feuer auf einem Recyclinghof ausgebrochen war - keine besonderen Vorkommnisse. Fast schon abenteuerlicher war da ihr erster Einsatz: Nach der Zwangsräumung einer völlig heruntergekommenen Wohnung in Ramersdorf hatte ein Kammerjäger Gift darin verteilt und die Wohnung versiegelt. Trotzdem kehrte der ehemalige Bewohner zurück in sein altes Zuhause und brach das Siegel auf. Nachbarn alarmierten die Feuerwehr, die wegen des Stichworts "undefinierbarer Geruch" den Umweltdienst aktivierte, der den meckernden Bewohner zur Sicherheit nach allen Regeln der Kunst dekontaminierte. Wirklich gefährlich sei der Einsatz für keinen der Beteiligten gewesen, erklärt Weigert. Aber sollte doch einmal der Ernstfall, etwa ein Chemieunfall eintreten, gibt es bei der Münchner Feuerwehr nun eine Einheit, die genau darauf vorbereitet ist.

© SZ vom 01.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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