Mit der "Sitte" auf Milieu-Streife:Auf Fleischbeschau im Laufhaus

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Domina-Stiefel und kurze Röckchen, Zuhälterei und Menschenhandel: Wie die Polizei 2600 Prostituierte in Münchner Clubs und Bordellen kontrolliert.

Susi Wimmer

"Was ich in den Jahren bei der Sitte gelernt habe? Dass es nichts gibt, was es nicht gibt." H. Bauer, 42, Polizist, seit fünf Jahren auf Milieu-Streife.

Portugiesin Naomi und vier weitere Damen bieten Dienste aller Art an. Auch sie müssen mit unangemeldeten Kontrollen der Polizei rechnen. (Foto: Foto: Rumpf)

Der Mann schwitzt. Immer wieder zieht er das Taschentuch aus der Hosentasche und wischt sich über Stirn und Kinn. "Ah, die guten Zeiten sind vorbei", sagt er. Die Mietpreise, Heizkosten, Strom und erst der Fiskus: "150 Euro müssen die Mädchen hier zahlen, wenn sie für 24 Stunden ein Zimmer mieten", erklärt er. Und ihm, dem Betreiber, zieht das Finanzamt 19 Prozent aus der Tasche. Er winkt verächtlich mit der Hand. Alles hier sei "sauber". "Bei uns läuft es anders", erklärt er. Jedes neue Mädchen werde ordentlich angemeldet, etwaige aggressive Freier würden sofort besänftigt. Hauptsache Diskretion.

"Sie wissen ja gar nicht, wer bei uns alles aus und ein geht", sagt er. Auf dem Computer läuft die Videoüberwachung: einzelne Bilder vom Parkplatz, von der Eingangstüre, den Gängen. Hier geben sich die Männer die Klinke in die Hand. "Laufhaus" heißt das Etablissement im Euroindustriepark im Fachjargon. Hier sitzen die Mädchen aufgereiht und halbnackt in den Gängen, wie bei Tengelmann an der Fleischtheke.

In dem Gang ist es brütend heiß. Die bunten Lichterketten, die über jedem Türrahmen hängen, flirren vor den Augen, ein merkwürdiger Geruch nach Massageöl und Industrieteppich liegt in der Luft. Eine beklemmendes Gefühl für den, der aus der kalten Nacht kommt. Tür an Tür reiht sich den Gang entlang, über jedem Zimmer eine Nummer und in jedem Rahmen posiert eine Frau. Domina-Stiefel, Hotpants, kurze Röckchen. Hier marschieren die Männer durch, suchen sich ein Mädchen aus, gehen in das Zimmer und schließen die Tür.

"Da verblödet man"

"Als ich anfing, konnte ich in den ersten drei Tagen in diesem Bett nicht einschlafen. Ich hab auf dem Stuhl geschlafen. Aber - man gewöhnt sich an alles." Emilia ist 22. Große, dunkle Augen, langes Haar, Model-Figur. Sie sitzt im Aufenthaltsraum, isst süße Waffeln und redet frei von der Leber weg: Mit ihrem Job im "Laufhaus" ernährt sie ihre Familie in der Türkei, die "natürlich nicht weiß, was ich tue". Ob die Männer, die hier reinkommen, hübsch oder nett oder sonst was sind, ist ihr völlig egal. "Hauptsache, sie zahlen gut." Ein Jahr lang will sie noch durchhalten, "dann hau ich ab". Den ganzen Tag hier zu sitzen, "da verblödet man doch".

Stella, 25, nickt. Die beiden hocken im Aufenthaltsraum, ratschen, im Regal leuchten die blauen Lichter eines Mini-Tannenbaums. "Draußen", sagt Stella, "schau ich mir die Männer anders an." Im "Laufhaus" denkt sie nur: "Hoffentlich ist er bald fertig." Stella ist geschieden, hat zwei Kinder und hat nur Geldverdienen im Kopf. "Hier ist wenig Lauf", sagt sie. Der Laden sei zu weit draußen. "Und die Männer gehen lieber in Clubs. Das ist komfortabler als die Quickie-Nummer im Zimmer."

162 legale Bordelle sind in München außerhalb des Sperrbezirkes registriert, etwa 800 Prostituierte gehen täglich ihrem Geschäft nach. "Und unser Job ist es neben der Überwachung des Sperrbezirks unter anderem, auch das legale Milieu zu kontrollieren", sagt Peter Breitner, Leiter des Kriminalfachdezernats für Organisierte Kriminalität. Gut 20 Mitarbeiter umfasst das Kommissariat für Prostitutionskriminalität, täglich sind sogenannte Milieustreifen unterwegs, um darauf zu achten, "dass die Spielregeln eingehalten werden".

Drogen, Körperverletzung, Zuhälterei, Menschenhandel

Natürlich werden Kontakte zu Betreibern und zu den Damen gepflegt. Um zu schauen, ob alles mit rechten Dingen zugeht. Ob auf die Frauen Druck ausgeübt wird, ob es vielleicht Läden gibt, wo ohne Kondom gearbeitet wird. Und natürlich geht es auch um die Begleitkriminalität: Drogen, Körperverletzung, Zuhälterei, Menschenhandel. "Durch unsere permanenten, unangemeldeten Kontrollen erhöhen wir das Entdeckungsrisiko für illegale Aktivitäten erheblich. Die Kontrollen dienen dabei vor allem dem Schutz der Prostituierten."

"Hallo, Polizei." H. Bauer und J. Riede, beide wollen nicht näher genannt werden, stehen vor einer "Terminwohnung" nahe der Lerchenauer Straße. Fünf Bordelle sind in dem grauen Betonklotz untergebracht, jedes hat etwa acht Zimmer. Die Freier melden sich telefonisch an, klingeln dann bei "Celina", "Sahra" oder "Elisa", und schon öffnet sich die Wohnungstüre. Ein Gang in rotes Licht getaucht, künstliche Pflanzen, Bilder mit Nackten, ein Aquarium, an der Wand die Kondomverordnung der Stadt München.

Rote Herzchen im Fenster: Im "Haus Del Amor" überprüft die "Sitte" die Ausweise der Frauen, erkundigt sich nach deren Befinden - und will auf diese Weise das legale Prostituieren-Milieu kontrollieren. (Foto: Foto: Rumpf)

Thailändische Frauen, Transsexuelle und eine dunkelhäutige Frau nicken nur kurz: die Polizei. Ausweis holen, vorzeigen, ein kurzes Gespräch. In der Wohnküche stapeln sich die Pfannen, der Fernseher läuft, an der Heizung steht der Wäscheständer. Die Frauen tragen Pantoffeln, Bademäntel oder Tücher um den Körper gewickelt. Erst wenn die Türklingel mit ihrer Nummer aufleuchtet, ziehen sie die glitzernden Highheels an.

"Gegen die Kontrollen hab ich nichts"

"Ach nein, gegen die Kontrollen hab ich nichts", sagt Manfred Hugl, Betreiber des "Club Monaco". Hugl zieht an der Zigarette, blinzelt durch seine auffällige Brille und erzählt, dass er schon seit über 20 Jahren im Geschäft ist. Im "Leierkasten" habe er angefangen, dann das "Herz Ass" geführt, "aber heute hat sich alles verschoben". Früher, da gab es einige wenige Läden, "heute gibt es alles: FKK, Terminwohnungen, Clubs, die Szene ist so unübersichtlich".

Damit Hugls Laden brummt, zahlt er jedem Taxifahrer, der einen Kunden bringt, 120 Euro. "Egal, was die Konkurrenz sagt. Dazu steh ich." Mit einem Winken ordert er eines seiner Mädchen, die hier alle ähnlich aussehen: Lange Beine, braune Haut, lange Haare, Gesichter wie aus dem Puppenladen. "Los, mach eine Führung", ruft er. "Ist gut, Schnappi", sagt sie. Jedes Zimmer wird aufgesperrt: Bett, Whirlpool, Couch, Tisch. Im Dämmerlicht wirkt alles gepflegt. Ein Zimmer mit Ritterrüstung, ein anderes mit großem Bett und Sitzecke: "Falls mehrere Männer kommen, die mehrere Damen wünschen."

Im Foyer steht der EC-Automat. "Es gibt Prostituierte, die gehen schon mit 1500 bis 2000 Euro am Abend heim", sagt Peter Breitner. Zu Hause warte nicht selten der Zuhälter. "Früher wurden die Frauen sehr häufig geschlagen. Heute sind die Methoden der Zuhälter oder Lebensgefährten, wie diese sich häufig selbst gerne bezeichnen, subtiler", erklärt Breitner. Jetzt legen sich die Luden anfangs ins Zeug: "Die ersten drei Monate legt er der Frau die Welt zu Füßen, macht sie verliebt und hörig." Dann plötzlich schwenkt er um: Für das angebliche gemeinsame Eigenheim fehlt das Geld, die Urlaube, der Lebensstil, die Frau müsse mitverdienen und anschaffen gehen. "Und die Frauen sind blind vor Liebe und tun es." Bei Stella war es so und bei Emilia auch. Mittlerweile haben beide die Männer "zum Teufel gehauen". Aber wie einen anderen Job finden?

Peitschen, Masken, Handschellen

Das Geschäft mit der Liebe floriert nicht nachts, sonders untertags. Geschäftsmänner, die ihre Mittagspause ausdehnen oder nach Dienstschluss etwas später heimkommen. Männer, die beim Anblick der angezogenen Besucher den Blick senken. Erst recht im FKK-Club. "Hier ist alles sehr frei, es wird nicht animiert", sagt Janine. Sie muss 60 Euro Eintritt bezahlen, wie die Gäste auch. Wenn einer der Männer dann mit ihr den Gang mit phosphoreszierenden Herzchen nach hinten ins Separee gehen will, erhält sie das Geld.

"Aaah" - ein spitzer Schrei. Naomi ist entzückt. Sie sitzt hinter der Bar im "Haus Del Amor" an der Schuegrafstraße und freut sich über die Gäste. "Trinkt was mit mir, ich hab heut Geburtstag", schreit sie. "Danke, sind im Dienst", sagen die Polizisten. Die vier Frauen aus Brasilien, Portugal und Südamerika kramen nach ihren Pässen und setzen sich zu den Kontrolleuren. Das Bordell mutet wie ein Hexenhäuschen an: verwinkelt, bunt beleuchtet, überladen. An den Wänden eine handgeschriebene Preisliste mit Tarifen einzelner Sexualpraktiken, unterteilt in "Frauen" und "Transe". Naomis Mann, ein Italiener, startet zur Hausführung. Die endet im Keller. Hier stehen neben dem Bett zwei gekreuzte Balken. Vor roten Lichterketten schimmern Peitschen, Masken, Handschellen.

Nur ein paar Straßen weiter wirbt ein Swinger-Club, gegenüber das Sado-Maso-Studio. Hier will man keine Presse. Laut Internet gibt es hier Erniedrigung, Tierdressur oder Stromstöße zu kaufen. Es ist kurz vor Mitternacht. Die Milieu-Streife macht Schluss. 2600 Prostituierte haben die Beamten allein im letzten Jahr kontrolliert. Peter Breitner rechnet damit, dass künftig noch mehr zu tun ist. "Die neuen EU-Staaten boomen." Und das nicht nur im legalen Bereich.

© SZ vom 01.12.2008/af - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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