Misfit-Casting in München:Verrückt schön

Lesezeit: 3 min

Fotograf Del Keens war selbst bereits Model, obwohl er mit den schiefen Zähnen und großen Tränensäcken nun wirklich nicht der Modenorm entspricht. (Foto: Lukas Barth)

Dicke oder Dünne, Einäugige, Tätowierte oder Rollstuhlfahrer: Del Keens castet in München Models, die ein Charaktergesicht haben. So wie der Agenturchef selbst.

Von Inga Rahmsdorf

Lucy Wilke hat eine Kategorie auf dem Fragebogen nicht ausgefüllt. Bei den Angaben zu ihren Maßen wusste die Münchnerin nicht so recht, was sie schreiben sollte, denn ihr Körper lässt sich nicht in das übliche Raster pressen. "No problem", sagt Del Keens, nimmt seine Kamera und beginnt mit dem Foto-Shooting. Anders sein, das ist genau das, was der Brite sucht.

Dicke oder dünne Models, Männer und Frauen mit vielen Haaren auf dem Körper oder mit Glatze, mit nur einem Auge oder Bein, mit Tattoos oder im Rollstuhl. Del Keens interessiert sich für Menschen, die abweichen von der Norm, die nicht dem konventionellen Schönheitsideal entsprechen. Die aber ein Charaktergesicht haben, wie der Brite sagt. Und ganz wichtig: Selbstbewusst müssen sie sein. Menschen, die man auf einem Werbeplakat sieht und nicht gleich wieder vergisst. Schön schräg eben. So wie Del Keens selbst.

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(Foto: Lukas Barth)

Ein ungewöhnliches Casting: Del Keens (r.) fotografiert Menschen, die keiner äußerlichen Norm entsprechen, hier die Münchner Sängerin Lucy Wilke.

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(Foto: Christoph Mukherjee; OH/NAT GEO people)

Besonders wichtig ist dem Briten dabei, dass die Models Charakter haben; etwas, das hängenbleibt.

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(Foto: Lukas Barth)

Fotograf Del Keens war selbst bereits Model, obwohl er mit den schiefen Zähnen und großen Tränensäcken nun wirklich nicht der Modenorm entspricht.

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(Foto: Lukas Barth)

Die Botschaft, die er mit seiner Agentur "Misfit Models" vermitteln will: Jeder kann ein Model sein, es braucht nur Selbstbewusstsein.

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(Foto: Christoph Mukherjee; oh/NAT GEO people)

Stefan Herold fühlt sich gut aufgehoben bei der Agentur. Der 45-Jährige mit den polynesischen Tattoos findet: "Von innen heraus muss man schön sein."

Die wohl ungewöhnlichste Modelagentur

Der 43-Jährige mit den schiefen Zähnen und den großen Tränensäcken ist alles andere als ein makelloses Modemodel mit durchtrainiertem Körper. Trotzdem stand er schon für Calvin Klein, Diesel Jeans und Levis vor der Kamera, hat in Musikvideos mitgespielt und im goldenen Badeanzug gepost. Und weil sein Typ gefragt ist und es gut lief, hat er irgendwann seine eigene Agentur in Berlin gegründet: Misfit Models, die wohl ungewöhnlichste Modelagentur in Deutschland.

Sein Motto: Hey, wenn ich Model bin, dann kannst du auch modeln. Genau das will er den Männern und Frauen vermitteln, die in die Kunstgalerie art:ig gekommen sind, wo Del Keens am vergangenen Samstag zum ersten Mal ein Misfit-Casting in München veranstaltete.

"Keiner zwingt die Models"

Lucy Wilke ist eines der Models, die sich beworben haben und zu dem Casting eingeladen wurden. Die Münchnerin ist Sängerin, hat blaue Augen, lange blonde Haare, hat schon als Schauspielerin und Regisseurin gearbeitet - und sitzt im Rollstuhl. "Es gibt auch eine andere Schönheit, als die, die Mainstreammäßig angeboten wird", sagt sie. Lucy Wilke arbeitet gerne vor der Kamera und es ist ihr wichtig, auch in der Öffentlichkeit mit Themen aufzutreten, die nichts mit Behinderung zu tun haben.

Arte-Doku "Schön kann jeder!"
:Anti-Klums mit Charakter

Eine Arte-Doku begleitet den Briten Del Keens, der "Misfit Models" mit Bierbauch oder Behinderung castet. Ein kluger, wenn auch etwas redundanter Film abseits der gängigen "schön/hässlich"-Schablone.

Von Thorsten Glotzmann

Aber stellt Del Keens mit seiner Agentur Misfit Models nicht gerade die Abweichungen zur Schau? Besteht nicht die Gefahr, dass Behinderungen oder Krankheiten zur Belustigung exponiert werden? Nein, sagt Del Keens. "Alle Männer und Frauen kommen hier freiwillig zum Casting, keiner zwingt die Models. Sie selbst entscheiden, welche Aufträge sie annehmen und zu welchen Bedingungen." Es gebe durchaus auch Anfragen, die er von vornherein ablehnen würde. Einmal wollte einer eine Gruppe kleinwüchsiger Models buchen, die dann auf einer Party tanzen sollten. Das hat Del Keens nicht mitgemacht.

Die Geschichte hinter den Menschen

Johannes Mairhofer zieht sich für das Fotoshooting eines der weißen T-Shirts an. Er ist Fotograf und hat selbst einmal ein Projekt gemacht, bei dem er behinderte Menschen vorstellte, um zu zeigen, dass erfolgreich und behindert kein Widerspruch ist. Von "Zirkusnummern, bei denen man die lustigen Behinderten zur Schau stellt", hält er gar nichts. Bei Misfit Models steht der 32-jährige Münchner nun zum ersten Mal auf der anderen Seite der Kamera. "Wenn es für mich irgendwo passt, dann bei dieser Agentur, weil man hier ein bisschen schräg aussehen muss", sagt er. Mairhofer hat eine Verwachsung am linken Auge und ein Glasauge.

Der etwas untersetzte Kunststudent Johannes Reichhardt lässt sich bei Misfit Models in die Kartei aufnehmen, weil alle ihm sagen würden, er sei ein Unikat, und die Agentur "authentische Menschen" suche, wie er sagt. Der Münchner Stefan Herold präsentiert im Kameralicht polynesische Tattoos, die seinen Oberkörper und seine Arme bedecken. "Von innen heraus muss man schön sein", sagt der 45-Jährige. Herold, 1,65 Meter, blonder Bart und Brille, steht auf Tiki-Kultur und hat nicht nur seine Haut, sondern auch seine Wohnung im Südseeflair gestaltet.

"Wir sind keine Freaks"

Die Geschichte hinter den Menschen, darum geht es Keens auch. Und weil seine Models mehr zu erzählen haben, als nur das, was man auf den Bildern sieht, hat Nat Geo People einen Doku-Serie über den Briten und seine ungewöhnliche Agentur gedreht, der über Kabel Deutschland uhd Unitymedia KabelBW empfangbar ist. Die Serie "Misfit Models - schön schräg" wird vom 18. April an immer samstags auf Nat Geo People in acht Episoden gezeigt.

"Wir sind keine Freaks", das ist dem Chef der Misfit-Agentur wichtig. "Wir sind Individuen." Er selbst hat kürzlich erst für eine Bierwerbung gemodelt. "Sie haben mich sehr gut dafür bezahlt, dass ich einen verrückten Betrunkenen in einer Kneipe spiele", sagt Del Keens, macht eine Pause, lacht und fragt dann: "Wer ist denn da der Verrückte?"

© SZ vom 30.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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