Meine Woche:Der Freund Haidhausens

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(Foto: Robert Haas)

Johann Baier frönt mit Hingabe seiner Geschichts-Leidenschaft

Von Jana Heigl

Wenn Johann Baier am Dienstagabend mit seiner Posaune zu den Bläsern ins Salesianum geht, dann kennt er natürlich die Geschichte des Gebäudes: Um 1850 war es die Kreisirrenanstalt, die kein geringerer leitete als Obermedizinalrat Bernhard von Gudden, der 1864 gemeinsam mit König Ludwig II. im Starnberger See ertrank. Das erzählt Baier mit leuchtenden Augen. "Als Schüler konnte ich mit Geschichte nichts anfangen", gibt er zu, als er in seiner großzügigen Altbauwohnung in Haidhausen sitzt: "Ich habe die Zusammenhänge nicht erkannt." Später unterrichtete er Wirtschaft und Erdkunde: "Ich war gerne Lehrer." Auch heute nutzt er seine Geografiekenntnisse, um sich der Münchner Geschichte auf eine besondere Art und Weise zu nähern.

Erst als Baier in den Achtzigerjahren als Vorsitzender der Pfarrgemeinde eine Leitschrift zum Jubiläum der Kirche schreiben soll, überfällt ihn die Geschichts-Leidenschaft. "Ich habe in einem Jahr mehr als 300 Seiten neben dem Beruf geschrieben", erinnert er sich. "Meine Freistunden habe ich im Stadtarchiv verbracht." Seitdem recherchiert er weiter und veröffentlicht eine Abhandlung nach der anderen. Einen ganzen Stapel baut er auf seinem Esstisch auf, alle feinsäuberlich in der Druckerei gebunden. "Man lernt immer wieder was dazu", sagt er. Daneben liegen dicke Ordner mit eigenen Skizzen und alten historischen Karten, die er in Antiquariaten und Archiven gefunden hat.

Mit ihrer Hilfe erklärt er einer Schulklasse am Dienstagnachmittag, wie sich Haidhausen vom Glasscherbenviertel zum Szene-Stadtteil entwickelt hat. Am Samstag beschreibt er den Teilnehmern seiner wöchentlichen Führung die Bedeutung der Stadtbäche. Dann erzählt er, dass für den Bau der U-Bahn viele unterirdische Bäche stillgelegt worden seien. Am Vormittag feiert er den 45. Geburtstag seines Sohnes - schließlich warten nachmittags schon an die vierzig neugierige Köpfe auf ihn. Am Mittwoch vertritt er die Nachbarschaftshilfe, die er 1980 gegründet hat, bei einem Treffen mit sozialen Einrichtungen in der Pfarrei Sankt-Elisabeth. Das Ehrenamt ist Baier wichtig, er war 13 Jahre lang Vorsitzender der Freunde Haidhausens. Einmal hat er selbst mehr als 3 000 Briefe an die Haidhauser verteilt, als es um einen Maibaum für das Viertel ging. Den Sonntag verbringt Baier ruhig mit seiner Frau zu Hause. Vielleicht recherchiert er auch ein bisschen. "Momentan interessiert mich das Thema Wasser", erzählt er. "Da frage ich mich auch - seit wann gibt es Wasser auf der Erde?" Der Stoff geht ihm nie aus.

© SZ vom 25.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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