Meine Woche:Den Rausch nüchtern erleben

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Michaela Ruetz-Guzman hat nach dem Studium in einer Jugendvollzugsanstalt gearbeitet. (Foto: Catherina Hess)

Michaela Ruetz-Guzman berät über die Folgen des Alkoholismus

Von Simon Schramm

Um eine Krankheit zu identifizieren, muss man die geeigneten Beobachtungen anstellen. Bei der Diagnose zum Alkoholismus geht es zunächst nicht um die Menge oder die Art von Alkohol, die jemand trinkt; nicht nur der tägliche Konsum harter Spirituosen ist ein Zeichen von Trinksucht. Andere Faktoren zählen: der Drang zum Trinken, Entzugserscheinungen wie Schlafstörungen und Schweißausbrüche, die für nötig empfundene Steigerung des Konsums, um einen Rausch zu bekommen, die Vernachlässigung von sozialen Kontakten, oder wenn man trotz negativer Erlebnisse, etwa einer betrunken ausgeführten Straftat, vom Trinken nicht lassen kann. Es ist der Job von Suchttherapeutin Michaela Ruetz-Guzman (Foto: Catherina Hess), diese Merkmale zu erkennen. "Uns geht es nicht darum, jemanden eine Sucht einzureden", sagt die Mitarbeiterin der Außenstelle Nord des Suchthilfeverbandes "Blaues Kreuz" an der Schleißheimer Straße. "Wir wollen sensibilisieren. Es hilft, sich diese Faktoren bewusst zu machen und zu erkennen, welche Funktion das Trinken für einen hat."

Seit zwei Tagen läuft in ganz Deutschland die "Aktionswoche Alkoholismus" der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, und weil Ruetz-Guzman und ihre Kollegen "viel zu wenig" Menschen erreichen, wie sie sagt, wird das Team an diesem Dienstag und Mittwoch vor dem Einkaufszentrum Mira über Alkoholismus informieren. An ihrem Stand wollen die Sozialpädagogen nicht nur Broschüren verteilen, sondern mit Rausch-Brillen und einem Hindernis-Parcours einen benebelten Zustand simulieren - denn die eigenen Gewohnheiten lassen sich besser einschätzen, wenn man einmal die Rauscheffekte nüchtern wahrgenommen hat.

Die Außenstelle Nord gibt es seit zehn Jahren, Hauptaufgabe ist Beratung und die Vermittlung von Therapieangeboten. Ruetz-Guzman, 51, hatte nach dem Studium in einer Jugendvollzugsanstalt gearbeitet. Sie entdeckte, dass sie tiefgehender einzelnen Personen helfen möchte. Wie gelingt ihr der Umgang mit sozialen Schicksalen? "Ich will erst einmal das Gefühl von Nähe aufbauen, um mich dann zu distanzieren", sagt die Suchtexpertin. Eine Grenze ist es, wenn die Geschichte einer Person der eigenen Erfahrung ähnelt, wie ihrer Rolle als Mutter. Um auch am Abend zu beraten, arbeitet Ruetz-Guzman nur drei Tage die Woche, dann eben länger. Wenn das Team am Mittwoch seinen Stand abgebaut hat, wird die Therapeutin wie üblich den Rest der Woche bei ihrer Familie verbringen. Andere Termine der Aktionswoche laufen noch bis Samstag, 20. Mai.

© SZ vom 15.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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