Linksaußen:Sonnenschein für 2 Euro

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Ohne Konjunktiv, auch Irrealis, kommt man im Sport kaum aus. Höchste Zeit, den Virtualis zu erfinden. Was das mit Opa Hoppenstedt zu tun hat? Nun...

Kolumne von Andreas Liebmann

"Wäre wäre Fahrradkette"

Lothar Matthäus, fränkischer Philosoph

Der Konjunktiv ist ein recht praktisches Werkzeug, mit dem sich im Deutschen prima ausdrücken lässt, dass unter gewissen Umständen etwas passiert wäre, das de facto dann doch nicht passiert. Ohne seine Verbformen kommt Sportberichterstattung selten aus, dieser Tage erst recht nicht. Deshalb dürfen Schüler, die womöglich genau in diesem Augenblick im Homeschooling (Achtung, neudeutsch!) an seiner korrekten Handhabung verzweifeln, im Folgenden gerne etwas genauer mitlesen.

Am vorigen Samstag etwa hätten im Fußball Geisterspiele starten können, wäre es nach dem Willen der DFL und zweier Ministerpräsidenten gegangen. Wäre dieses Virus dagegen gar nicht erst aufgetaucht, hätte der FC Pipinsried am Freitag den TSV Landsberg empfangen. Der Bayernligist wäre wahrscheinlich längst Meister und stiege demnächst also auf, ähnlich wie Türkgücü, das am 32. Spieltag der Regionalliga auf den TSV Rain träfe, aber eben nicht trifft. Soweit klar? Merke: Es handelt sich hier jeweils um den Konjunktiv II, quasi die Hätte-hätte-Fahrradkette-Version, nicht zu verwechseln mit dem Konjunktiv I (der dann wohl "habe habe Fahrradnabe" hieße, aber das nur am Rande). Die Fahrradkettenvariante wird auch als Irrealis bezeichnet.

Für vergangenes Wochenende wären jedenfalls in Riem und Daglfing Renntage geplant gewesen ("hätte hätte Pferdewette"), und Ende Mai fände die Pferd International statt, zu der 70 000 Zuschauer kämen. Weil sie virusbedingt jedoch auf 2021 verlegt wurde ("hätte hätte Pferdedecke"), haben ihre Veranstalter nun eine revolutionäre neue (Un-)Wirklichkeitsform erfunden, die samt zugehöriger Grammatik ganz dringend einer Aufnahme in den Duden bedürfte: den Virtualis!

Wer keine Kniebeugen machen möchte: Wie wäre es mit Squats?

Noch bis 20. Mai, dem Tag vor dem ursprünglichen Starttermin, kann man für das abgesagte Großereignis nämlich "virtuelle Tickets" erwerben. Das ist wohl nicht nur für, äh, Homeschoolende (noch neueres Neudeutsch) erklärungsbedürftig. Erhältlich sind laut Pressemitteilung "symbolische Tickets" für die Disziplinen Springen, Dressur, Working Equitation oder das Schauprogramm, à fünf, sieben oder zehn Euro; zudem kann man - tatsächlich - für zwei Euro gutes Wetter hinzubuchen, für drei Euro symbolisches Ponyreiten und für fünf Euro ein symbolisches Picknick. Es handelt sich (mal nüchtern in den Realis übersetzt) um eine Art Spende an die Veranstalter, denen ja nun ihr Großereignis weggebrochen ist, verbunden mit entsprechenden Rabatten beim Erwerb echter Tickets für die Pferd International 2021 (13. bis 16. Mai) und der Aussicht, eins der verlosten VIP-Packages zu gewinnen. Dass man "viel Fantasie und Vorstellungsvermögen" benötigt, steht auch in der Pressemitteilung.

Übrigens: So eine Pandemie können natürlich auch Sportreporter zur Fortbildung nutzen. Allein all die Fitnesstipps von Experten, die man in den vergangenen Wochen zusammengetragen und für eingesperrte Leser aufbereitet hat, waren ja höchst lehrreich. Offenbar werden heute Squats vollführt, wo man früher banale Kniebeugen machte; Lunges und Planks statt Ausfallschritten und Unterarmstützen. Alles viel moderner und kürzer, weshalb man in derselben Zeit wohl viel mehr davon machen kann. (Wer Wert darauf legt: Der Hampelmann ließe sich als Jumping Jack übersetzen.) Ach ja, und die Burpees natürlich! Wobei: Diese Mischung aus Kniebeuge, Liegestütz und Strecksprung ist keineswegs neudeutscher Schnickschnack, sondern nach Royal Huddleston Burpee benannt, der schon im Jahr 1939 die Grundlage für diese Übung schuf. Hätte Opa Hoppenstedt sie erfunden, vollführte man heute eben weltweit Hoppenstedts. Hat er aber nicht.

Vermutlich sind die SZ-Leser in den zurückliegenden Wochen des angeleiteten Homeworkouts auch ohne Hoppenstedts derart fit geworden, dass sie nun, wo sie auch draußen immer mehr Sport treiben dürfen, kaum noch gehen können vor lauter Muskeln. Uns Sportreportern haben sie das voraus. Wir waren mit Einsammeln und Darstellen moderner Fitnessübungen derart beschäftigt, dass deren Anwendung häufig auf der Strecke blieb. Irgendwo zwischen Virtualis und Irrealis.

© SZ vom 11.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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