Linksaußen:Rennbahn voller Geisterfahrer

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Vom sportlichen Ungeschehen des Wochenendes bildet nur der Trabrennsport eine Ausnahme. Und ausgerechnet das ist nicht frei von Ironie.

Kolumne von Andreas Liebmann

Der apokalyptische Reiter, um diesem Missverständnis gleich im ersten Satz vorzubeugen, hat rein gar nichts mit der Münchner OB-Wahl zu tun. Er reitet vielmehr durch die Bibel, genauer: durch die Offenbarung des Johannes. Noch genauer gibt es dort vier solche Reiter, die, sobald ein Lamm das berühmte Buch mit den sieben Siegeln öffnet und mit Lämmerstimme "Komm!" ruft, losgaloppieren, um die Menschheit mit ihren Geißeln zu überziehen. Aber das sprengt hier eindeutig den Rahmen.

Es ist ja auch nur so eine flüchtige Assoziation, die einen in diesen nicht gar so heiteren Tagen befallen kann, wenn man - wie dies im Linksaußen meist geschieht - das sportliche Geschehen des zurückliegenden Wochenendes betrachtet. Denn dort gab es nichts zu beobachten als gespenstische Stille in Hallen und auf Plätzen, sozusagen sportliches Ungeschehen - bis eben auf diese eine übrig gebliebene Pferdesportveranstaltung. Aber wie das oft so ist mit einer Assoziation, die völlig ungefragt und vor allem unqualifiziert in einen Gedankengang hineinplatzt: Sie führt zu nichts. Schon allein, weil die Protagonisten im Osten Münchens, wenn überhaupt, apokalyptische Fahrer wären. Doch auch das ist natürlich Unsinn.

Kommt auch hier die Zeit des autonomen Fahrens?

Als Geisterrennen haben die Sportler des Münchner Trabrenn- und Zuchtvereins am Sonntag in Daglfing ihre Wettfahrten absolviert, will heißen: ohne Publikum. Man muss kein biblischer Prophet sein, um zu ahnen, dass dieser Renntag auch hier der vorerst letzte gewesen sein dürfte. Trotzdem entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet sie die letzten Aufrechten waren. Schließlich haftet den Trabrennsportlern in der öffentlichen Wahrnehmung seit Jahren etwas Geisterhaftes an, sie sind quasi Experten. Sie fahren auf einer Bahn, die sie schon 2005 verkauft haben, die seitdem zu Bauland werden soll, und meist, wenn von ihnen die Rede war, ging es mindestens unterschwellig darum, dass ihr Ende naht. Dass sie nicht längst vor aller Augen verblasst sind zur geisterhaften Unsichtbarkeit, ist an sich schon eine Leistung.

Von der Idee der Geisterspiele haben sich die Verantwortlichen zuletzt binnen Stunden in Fuß-, Hand-, Volley- und allen anderen Bällen vorerst wieder verabschiedet, richtigerweise und vor allem viel schneller, als man das lustige Bild hätte zeichnen können, wie die Maulende Myrte den Fast Kopflosen Nick (zwei der Geister aus der Harry-Potter-Welt) von hinten fies in die Wade grätscht.

Auch Geisterpferde sind aus der Literatur bekannt. Eines weist Winnetou und Old Shatterhand den Weg. Ehe jetzt irritierte Karl-May-Fans ihre Gesammelten Werke aus dem Regal holen: Es handelt sich um eine Geschichte von Thomas Jeier, der zu Beginn des aktuellen Jahrtausends versuchte, die Winnetou-Stoffe weiterzuweben. Und bei Harry Potter gibt es eine Art fliegende Pferde, die für die meisten unsichtbar sind - im Gegensatz zu den Kutschen, die sie ziehen. So könnten Geisterrennen natürlich aussehen in Daglfing, wenn man schon versuchen wollte, komisch zu sein in diesen Tagen. Doch in Wirklichkeit sind es natürlich die Menschen, die man sich künftig wegdenken muss, weil es sie zu schützen gilt. Also Pferde, die leere Sulkys ziehen? Autonomes Fahren? Hunderennen? Es gibt keine andere Lösung, als vorerst von weiteren Rennen abzusehen, was auch die Galoppsaison in Riem hart trifft.

Vieles wird zu klären sein, sobald wieder Zeit dafür ist. Gibt es dort, wo der Spielbetrieb vorzeitig endet, Aufsteiger? Absteiger? Meister? Kann im Herbst die neue Runde starten, oder setzt man erst mal die alte fort? Tut man etwa so, als hätte eine ganze Saison nie stattgefunden, und Klubs wie Türkgücü, FC Pipinsried oder die Brucker Handballer wären um ihren Erfolg gebracht? Als Geistermeister? Alles schwierige Entscheidungen. Zunächst geht es aber um die gemeinsame Hoffnung, dass kein Lamm irgendwo ein Buch öffnet und etwas hineinbrüllt.

© SZ vom 16.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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