Linksaußen:Kaiser Neros Brandnotizen

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Twitter will Nachrichten einführen, die sich selbst zerstören. Eine Anregung für so manches missratene Bonmot aus dem Fußball.

Von Andreas Liebmann

Zu Beginn vielleicht eine kleine Gedächtnisstütze, das Ganze ist ja doch schon eine Zeit lang her. "Kobra, übernehmen Sie" war der Titel einer amerikanischen Fernsehserie, die erstmals 1966 ausgestrahlt wurde. Im Original hieß sie "Mission: Impossible". Wer genau die Giftschlange in die deutsche Synchronisation und dann auch noch in den Titel geschmuggelt hat, ist unklar.

Wenn im Folgenden von Kobra die Rede ist, geht es also nicht um Jürgen Wegmann! Jüngere Leser sind vor diesem Missverständnis ohnehin gefeit, weil sie zwar vielleicht noch eine vage Verbindung zu "Mission Impossible" hinbekommen (wegen der Kinofilme), aber vermutlich nichts mehr über Wegmann wissen.

Wegmann erschien sogar schon 1964. Bis er so richtig auf Sendung war und eine Hauptrolle als Fußballprofi bekam (der einzige, der für Schalke, Dortmund und die Bayern spielte), dauerte es eine Weile, dann aber machte er sich nicht nur mit Toren unsterblich. Sondern zum Beispiel mit dem Satz "Zuerst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu." Auch sein Eintreten für die Integration eines Mitspielers ist erinnerungswürdig ("Das muss man verstehen, dass er Schwierigkeiten hat, sich einzugewöhnen. Er ist die deutsche Sprache noch nicht mächtig"). Von Uli Stein wurde er im Bayern-Trikot per Faustschlag umgenietet (dem Torwart, nicht dem Karikaturisten). Und den Spitznamen Kobra erwarb er sich mit seinem Ausspruch: "Ich bin giftiger wie die giftigste Schlange."

Wie gesagt, um Jürgen Wegmann geht es an dieser Stelle ausdrücklich: nicht.

Es geht vielmehr, und darauf muss man erst mal kommen: um Twitter. Der Kurznachrichtendienst hat vor einigen Tagen angekündigt, dass er so genannte Fleets einführen will; Nachrichten, die sich selbst zerstören. Ebendiese kennt man seit "Kobra, übernehmen Sie!" Jede Folge der Serie begann mit einer Mitteilung, die sich, gerade erst gehört, vor den Augen der Agenten selbst vernichtete. Samt Schallplatte, Kassette oder Tonband versank sie in Salzsäure, explodierte oder ging - fum p! - in Flammen auf.

Welch reizende Idee! Allein wenn man an den US-Obertwitterer denkt: "meinem Freund Kim Jong ..." - fump! "The little rocket ma ..." - fump! Twitter plant die Selbstlöschung der Nachrichten zwar erst nach 24 Stunden, aber warum so lange warten? Und warum soll das nur auf Twitter und Facebook funktionieren? Debatten im Bundestag? "Kopftuchmädchen, Messermä ..." - fump! Nichts ist für die Ewigkeit! Auch keine Transparente in Fußballstadien. Gleich beim Ausrollen: "Hopp, du Hu ..." - fump! Lichterloh. Ultras mögen es schließlich, wenn auf der Tribüne etwas in Flammen aufgeht. Und vielleicht sogar, aber wirklich nur in diesem Ausnahmefall: Der Zeitungstext, in dem man den verwechselten Namen oder den blöden Tippfehler erst nach Redaktionsschluss bemerkt: Halb so wild. Fump!

Diese schöne Utopie ist natürlich noch nicht ganz ausgereift. Kaum auszudenken, wenn es jedes Mal fump! gemacht hätte, sobald ein Mönch nach Jahren mit dem Abschreiben einer Bibel fertig war. Selbstverständlich muss es Dinge geben, vorzugsweise außerhalb von Twitter, die der Nachwelt erhalten bleiben. Zeitungstexte ohne Tippfehler, zum Beispiel. Sätze für die Ewigkeit, wie "Ich bin ein Berliner!" (Jürgen Klinsmann). "Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien" (Google Maps). Und was wäre wohl gewesen, hätte sich 2006 jener Zettel in Jens Lehmanns Stutzen selbst vernichtet? Oder der, den Pep Guardiola 2015 dem Postboten Philipp Lahm mit auf den Rasen gab? Hätte "Zettel-Ewald" Lienen überhaupt je als Trainer arbeiten können, oder hätte man ihn weggesperrt, weil er mit seinen Notizen - fump! - Stadion um Stadion abgefackelt hätte wie Kaiser Nero Rom?

Anstelle von "Mailand oder Madrid" hätte man übrigens auch folgenden, zu Unrecht etwas weniger bekannten Satz zitieren können: "Ich habe immer gesagt, dass ich niemals nach Österreich wechseln würde." Er stammt, als Antwort auf die Frage nach einem möglichen Transfer zum FC Basel: von Jürgen Wegmann. Aber um den soll es hier ja nicht gehen.

Und jetzt aber bitte ganz schnell in Deckung - auch dieses Linksaußen könnte sich in wenigen Sekunden selpst zerstören. Vermutlich wegen eines Tippfehlers.

© SZ vom 09.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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