Hat Thomas Mann, wie man in Biografien nachlesen kann, seine spätere Frau Katia nicht in der Münchner Straßenbahn kennengelernt? Colm Tóibíns "Der Zauberer" (Hanser) unterschlägt diese Szene - aber ein Roman darf natürlich alles. Wobei sich der irische Autor meist recht eng an das Leben und Werk des deutschen Nobelpreisträgers hält - es gibt ja auch reichlich Material dazu. Man merkt, dass Tóibín viel davon gelesen hat, nicht nur die lange Lektüreliste beweist es. Er hat darüber hinaus versucht, sich in Thomas Mann einzufühlen, in eine gerade in sexuellen Sphären ja recht komplexe Gefühlswelt.
Tóibín erlaubt sich sogar, immer wieder die Türen zu Schlafzimmern aufzustoßen, hinter denen er miterleben lässt, was unter Menschen nun einmal bisweilen passiert. Doch auch Zwischenmenschliches im bekleideten Zustand bleibt den Lesern nicht fremd - die Animositäten mit Bruder Heinrich, der Ärger mit dem verwöhnten Nachwuchs, Privates wie Politisches. In zügigem Tempo führt Tóibín auf mehr als 500 Seiten durch die vielen Lebensjahre und -stationen des "Zauberers", wie Mann einst seine Kinder nannten. Und auch wenn von diesem Roman für Kenner keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind - die Aura der ungewöhnlichen Familie wird doch spürbar.
Colm Tóibín: Der Zauberer , Mo., 18. Okt., 20 Uhr, Literaturhaus, literaturhaus-muenchen.de