Leserbriefe:Beim Radeln ist München noch immer ein lebensgefährliches Pflaster

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Wenn's nur nicht so gefährlich wäre: Radfahren in München kann Spaß machen, etwa entlang der Isar, und wenn nicht gerade Sommer ist. (Foto: Robert Haas)

Natürlich gibt es einen Traumtrail entlang der Isar - aber eben auch Radwege, die plötzlich mitten auf befahrenen Straßen enden. Die selbsternannte "Hauptstadt" erntet heftige Leserkritik

"Radlprovinzstadt München" vom 13./14. Mai:

Ständig lauert Gefahr

Großes Lob dem Autor. Dem Artikel kann ich als Radfahrer, der wie der Autor im Sommer und im Winter fährt, in vollem Umfang zustimmen. Der Bericht ist beim Gesäusel von der "Radlhauptstadt" München überfällig. Er ist das Beste, was ich zum Radfahren in München in der SZ je gelesen habe. Die Schilderung der einzelnen Erlebnisse des Autors beim Radfahren in München und die stetige latente Gefahr erlebe auch ich immer wieder ähnlich. Hinzuzufügen bleibt mir nur, dass das Radfahren in München nicht nur im Winter "saugefährlich" ist, sondern ganzjährig an vielen Straßenkreuzungen lebensgefährlich sein kann.

Dies wird durch getötete Radfahrer vor allem bei Unfällen mit rechtsabbiegenden Lkw immer wieder bestätigt. Dabei ließe sich diese Gefahr längst entscheidend mindern, indem der Einbau von Abbiegehilfen für Lkw vorgeschrieben wird. Dies ist technisch schon lange möglich und finanziell mit nur geringem Zusatzaufwand darstellbar. Aber betroffene Politiker versichern bei entsprechenden tödlichen Radunfällen immer nur, jeder Tote sei einer zuviel, verhindern jedoch weiterhin, lebensrettende Abbiegehilfen für Lkw verbindlich vorzuschreiben.

Um bei der Politik zu bleiben: Ich frage mich schon lange, weshalb die über Jahrzehnte verantwortliche rot-grüne Stadtregierung angesichts der nicht akzeptablen Situation für Radfahrer in München nicht über kosmetische Anpassungen bei der Verkehrsführung hinausgekommen ist. Von der rot-schwarzen Koalition erwarte ich mir ohnehin keine substantiellen Verbesserungen. Warum auch, wenn sich mit dem Argument zunächst notwendiger Machbarkeitsstudien jede unliebsame Änderung für den Autoverkehr auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben lässt. Karl Heinz Sirtl, Ottobrunn

Dreist und großkotzig

Alex Rühle spricht mir aus der Seele, nicht nur, weil ich wie er unverdrossener Ganzjahresradler und Anhänger dieses cleversten aller Verkehrsmittel bin und täglich ähnliche Leidenswege hinter mich bringe. Wobei: Ich habe Glück und darf auf dem fantastischen, wenngleich im Sommer hoffnungslos unterdimensionierten Isarradweg die Stadt von Süd nach Nord durchmessen. Doch wer in München abseits dieses Traumtrails Rad fährt, riskiert oft sein Leben. Da nützt es auch nichts, wenn man Einbahnstraßen für Radler freigibt, wenn sich dicke Geländewagen einen Dreck scheren, ob da ein Radler entgegenkommt. Und wer die "toten Punkte" nicht kennt, an denen man als Radler vom Radweg einfach auf die Straße gespuckt wird - Rosenheimer Straße, Tegernseer Landstraße, Kapuzinerstraße, Werinherstraße et cetera, und extra aufpasst, der kommt tatsächlich schnell in höchste Gefahr, wenn nicht "unter die Räder".

Ich empfinde die Proklamierung zur "Radlhauptstadt" daher als dreist, großkotzig und als blanken Hohn. Es handelt sich um eine Art "Autosuggestion" oder in diesem Falle, sorry für das Wortspiel, "Radl-Suggestion", die durch häufiges Beschwören aber auch nicht Wirklichkeit wird. Abgesehen davon hat der dusselige Begriff immer einen leichten Anklang an die Nazi-Formel von der "Hauptstadt der Bewegung". München ist de facto eine Radlkleinstadt. Oder eben doch eine "Hauptstadt", aber der "motorisierten Bewegung". Dass dies nach fast einem Vierteljahrhundert rot-grünen Bündnisses im Rathaus immer noch so ist und auch die neue Stadtregierung sich mehr in Symbolpolitik ergeht, ist eine Schande. Da nützt es auch nichts, einmal im Jahr eine "Radlnacht" und zweimal ein "Streetlife-Festival" auf der Ludwig-/Leopoldstraße zu veranstalten, um dem frustrierten Alltags-Radler auch noch vorzuführen, wie schön es sein könnte. Johannes Reichel, München

Zugeparkte Radwege

Dank an Alex Rühle für das Pladoyer zur Radlprovinzstadt München, das ich als jemand, der ganzjährig täglich mit dem Rad in die Arbeit fährt, zu 100 Prozent teile und unterstütze. Das Kopfschütteln des zitierten dänischen Verkehrsplaners Mikael Colville-Andersen erlebe ich regelmäßig bei der abendlichen Heimfahrt von der Ludwigsbrücke den Gasteig hinauf, Richtung Rosenheimer Platz. Hier wurde zwischen Gasteig und Rosenheimer Platz der Radweg auf die Autospur verpflanzt mit dem Effekt, dass er von Lieferanten und Kunden des Motorama zusätzlich zu den zugegebenermaßen wenigen ausgewiesenen Parkplätzen als Parkmöglichkeit in zweiter Reihe zweckentfremdet wird. Als Fahrradfahrer muss ich dann im ohnehin anstrengenden und verlangsamten Bergauffahren auf die Autospur ausweichen und mich im günstigsten Fall der Beschimpfung der Autofahrer, im ungünstigsten Fall einer Gefahr für meine Gesundheit aussetzen.

Noch eine Anmerkung zur Priorität des Autos: Im Ortszentrum von Trudering wurde ein Einkaufszentrum neu angelegt, Truderinger Einkaufsoase (TEO) ist der idyllische Name. Es wurden dabei viele Parkplätze für Autos geschaffen, Stellplätze für Räder eher wenige. Das Ergebnis liegt auf der Hand: Der ohnehin schon starke Autoverkehr im Zentrum Truderings nimmt zu, als Radler hingegen, der hier mangels Radwegen sowieso schon schlechte Karten hat, überlegt man es sich doppelt, ob man sich dem Autoverkehr aussetzen will. Kurioserweise befinden sich unter den neuen Einkaufsmöglichkeiten zwei Bio-Supermärkte - das Drumherum entspricht einem ökologischen Gedanken aber in keiner Weise.

Christian Irber, München

Da gäbe es Dringenderes

Was hat es mit dem Verkehrschaos in München auf sich? Als erstes wäre hier das Motto des Herrn Ude zu nennen: Wir wollen in München die Arbeitsplätze, die Umlandgemeinden sollen sich um den Wohnraum kümmern. Wirtschaftlich gedacht, sehr klug: Mehr Wohnraum zieht die Notwendigkeit von Kitas, Schulen, Krankenhäusern et cetera nach sich, das kostet. Denkt man dann noch an den Streit zwischen den Alphamännchen der Stadtspitze (Ude) mit den jeweiligen bayerischen Ministerpräsidenten um die Finanzierung der zweiten Stammstrecke, der den notwendigen Ausbau um mindestens 15 Jahre verzögerte, wissen wir, warum die Verkehrslage nun so ist, wie sie ist. Über die Untätigkeit der Grünen, ebenfalls lang in der Stadtregierung, möchte ich gar nicht reden.

Es ist sicherlich von Vorteil, täglich mit dem Fahrrad in die Arbeit gelangen zu können. Circa 450 000 Menschen aus dem Umland ist das nicht möglich. Auch die üblichen, wohlfeilen Vergleiche mit den Städten, die vorbildliche Lebensgrundlagen für Radler bieten würden, hinkt gewaltig. Erlangen hat 130 000 Einwohner, Münster 320 000, Kopenhagen 600 000. Und München? 1,54 Millionen. Und da sollen es die Radlwege richten? Bei mindestens 130 Regentagen im Jahr und circa sechs Monaten übrige unwirtliche Jahreszeit. Die Radlschnellwege könnten natürlich überdacht werden, das wäre die ganz große Lösung. Wer sich vom praktischen "Nutzen" der Radlschnellwege überzeugen mag, sollte sich in den Semesterferien und/oder an einem Schlechtwettertag die Augustenstraße anschauen. Da wurde eine von zwei Spuren zur Radlspur umgewidmet. Bei der genannten Wetter- oder Ferienlage können Sie die Radler pro Stunde an ein bis zwei Händen abzählen. Was hilft? Konsequenter Ausbau von Tram, U- und S-Bahn und Verbesserung der Fahrradwege. Aber in dieser Reihenfolge. Dr. Thomas Lukowski, München

Flickschusterei

Mir ist aus den letzten zehn Jahren kein Fall bekannt, bei dem der Münchner Stadtrat wirklich innovativ gewesen wäre. Kein großer Wurf bei den großen Themen. Wohnen? Öffentlicher Nahverkehr? Verkehrspolitik? Energiepolitik? Bildungspolitik? Alles nur die Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners. Kein wirklich großer Wurf dabei, eher Flickschusterei. Kein wirklicher Druck auf die Landesregierung, wo es nötig gewesen wäre. Und viel Reden, aber kein Handeln, oder schlimmer: Geschehen lassen (verletze Radler) und wegschauen. So auch beim Thema Radlhaupstadt. Ute Walther-Maas, München

© SZ vom 16.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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