Lesen lernen:Nicht nur stur vortragen

Lesezeit: 1 min

Ideal zum Vorlesen, sagt Christel Günther, seien kleine Gruppen von vier bis sechs Kindern. "Das hat dann den heimeligen Charakter von Zuhause." In eine Schulklasse kommt deshalb immer ein ganzes Team der Lesefüchse. (Foto: Florian Peljak)

Christel Günther von den "Lesefüchsen" bringt Erwachsenen das Vorlesen bei

Interview von Christina Hertel, München

Wenn man Zuhause den Kindern vorliest, sei es etwas ganz anderes als ein fremdes Publikum vor sich zu haben, sagt Christel Günther. Die Rentnerin hat Erfahrung: Sie gibt seit 13 Jahren Kurse für die Lesefüchse. Alle, die für den Verein in Schulen oder Bibliotheken vorlesen möchten, müssen das erst bei ihr lernen. Christel Günther erzählt, worauf es ankommt.

SZ: Was lernen die Teilnehmer in Ihren Kursen, was sie nicht können, wenn sie bloß manchmal den Kindern vorlesen?

Christel Günther: Sie lernen, die Stimmungen und Gefühle, die in der Geschichte beschrieben werden, zu transportieren. Sie erfahren, wie sich Freude anhört und wie Traurigkeit, wann die Stimme laut sein muss, wann leise. Wir machen Sprechübungen - so wie in der Schauspielschule.

Kann jeder Vorlesen lernen?

Goethe hat mal gesagt: Vorlesen ist eine Kunst. Ich glaube aber, jeder kann es lernen. Man muss nur Spaß an Büchern haben und Kinder mögen. Übrigens: Sogar Thomas Mann hatte Vorlese-Unterricht.

Was tun Sie, damit Kinder zuhören und nicht nach fünf Minuten herumalbern?

Man sagt, ein sechsjähriges Kind hat auch nur eine Aufmerksamkeitsspanne von sechs Minuten. Deshalb darf man nicht nur stur vorlesen, sondern muss die Kinder miteinbeziehen. Ich frage zum Beispiel: Hast du das auch schon mal erlebt? Was meinst du, wie geht die Geschichte aus? Wir nennen diese Methode dialogisches Vorlesen. Und in der Geschichte muss es Action geben - vielleicht noch mehr als früher.

Können sich die Kinder heutzutage schlechter konzentrieren?

Ja, das ist meine Feststellung. Ich bin davon überzeugt: Der Fernseher ist ein Konzentrationskiller. Geschichten wie Momo oder Timm Thaler mit langen Naturbeschreibungen gehen nicht mehr. Solche Passagen fasse ich zusammen und mache mit den spannenden Stellen weiter. Das ist ja okay - jede Zeit hat ihre Bücher.

Ist Vorlesen überhaupt noch zeitgemäß?

Kinder lieben es, wenn ihnen jemand etwas vorliest. Sie kommen zu mir und fragen: Was hast du heute für eine Geschichte dabei? Ich glaube, dank der vielen Initiativen hat Vorlesen wieder einen anderen Stellenwert bekommen. Die Lehrer merken, dass es die Konzentrationsfähigkeit schult und die Fantasie der Kinder anregt.

© SZ vom 17.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: