Was bleibt, ist eine "enorme Wut und Enttäuschung bei den Jugendlichen". Gut 14 Tage, nachdem sich 29 Schüler vor Polizeibeamten wegen eines angeblich gestohlenen Fünf-Euro-Scheins teilweise nackt ausziehen mussten, kommen neue Informationen aus der Friedrich-List-Wirtschaftsschule.
Der Jugendbeamte, der die Leibesvisitation bei den Minderjährigen angeordnet hatte, soll gesagt haben, er wolle zeigen, "wie ordentliche Polizeiarbeit gemacht wird", so erzählen Schüler. Mädchen seien von Polizistinnen emotional erpresst worden, mindestens eine habe ihre Unterhose nach unten ziehen müssen. Kritik wird auch an dem schulinternen Krisenstab laut: Es entstehe der Eindruck, als wolle man ohne gründliche Aufarbeitung zum Tagesgeschäft übergehen.
Was sich an jenem 27. November im Klassenzimmer und auf den Toiletten der Schule am Isartor abgespielt hatte, sollen interne Ermittler der Polizei herausfinden. Sie laden alle Eltern mit den Jugendlichen der betroffenen achten Klasse vor. "Wir wollen alle befragen, wer auf welche Weise durchsucht wurde", sagt Polizeisprecher Wolfgang Wenger. Allerdings gebe es Eltern, "die die Vernehmung abblocken. Die wollen den Vorfall nicht thematisiert haben".
Eine nachvollziehbare Reaktion, denn es handelt sich um pubertierende Buben und Mädchen im Alter von 13 bis 16 Jahren, die sich schämen. Einige von ihnen, sagt ein Insider, hätten sich nicht einmal getraut, zu Hause davon zu erzählen.
Es sollte absurderweise ein Kurs über Zivilcourage sein, den ein Jugendbeamter des Polizeipräsidiums München an diesem Tag in der Klasse abhielt. Er war schon fast am Ende angelangt, als eine Schülerin in einer Pause einen Fünf-Euro-Schein aus ihrer Jacke vermisste. Da sich kein Dieb, sofern es überhaupt einen gab, fand, fühlte sich der 44-jährige Polizist offenbar berufen, an Ort und Stelle ein Exempel zu statuieren.
Nach dem Motto "heute klaut einer fünf Euro, morgen verübt er ein Schwerverbrechen", wie er meinte, führte er zunächst einzelne Verhöre durch und gelangte so zu einem "Hauptverdächtigenkreis". Die Buben und Mädchen mussten sich in einer Reihe hinsetzen, keiner durfte die Klasse verlassen, so berichten die Schüler, "die ersten begannen schon zu weinen".
Dann rief er Verstärkung: Zwei Beamte standen in der Jungentoilette und führten Leibesvisitationen durch, zwei Beamtinnen in der Mädchentoilette. Eine weitere Streifenbesatzung wurde zur Wohnung einer Schülerin geschickt, die wegen Unwohlseins nach Hause gegangen war. Es waren also mindestens sechs Beamte wegen des angeblichen Fünf-Euro-Diebstahls im Einsatz.
In der Mädchentoilette müssen sich schlimme Szenen abgespielt haben: In der Schule wird erzählt, dass ein Mädchen geweint habe und sich nicht ausziehen wollte. Sie sei von den Beamtinnen erpresst worden: "Du willst doch nicht, dass ich wegen dir meinen Job verliere, so kurz vor Weihnachten." Aus Mitleid mit der Beamtin soll das Mädchen die Unterhose runtergezogen haben. Sogar ein Mädchen, das seine Tage hatte und eine Binde trug, wurde nicht verschont.
Nach SZ-Informationen liegt mittlerweile mindestens eine Aussage eines Jungen vor, der sich ausziehen und seinen After untersuchen lassen musste. Die Durchsuchungen seien sehr unterschiedlich ausgefallen, so Wenger. Die polizeilichen Ermittlungen laufen, als Straftatbestand steht "Nötigung im Amt" im Raum. Gleichzeitig hält es die Polizei für nötig, wegen des angeblichen Fünf-Euro-Diebstahls zu ermitteln. "Wir fragen nicht nur nach der Durchsuchungsaktion, sondern auch nach den fünf Euro", so Wenger.
Deutliche Worte findet Rechtsanwalt Hartmut Wächtler: "Die Maßnahme war nicht nur völlig überzogen und selbstherrlich, sondern auch sinnlos." Die Polizei habe ihre Allmacht demonstrieren wollen, "sie kann alles und darf alles".
In Rosenheim, wo Wächtler eine Familie wegen eines umstrittenen Polizeieinsatzes vertrat, sei die Geschichte "ähnlich losgegangen". Wächtler wundert sich auch über das Verhalten der Lehrer: "Dass da keiner eingreift und die Polizisten rausschmeißt, ist verwunderlich." Das Direktorat war vorab von der körperlichen Durchsuchungsaktion informiert worden, reagierte aber nicht.
Aus strafrechtlicher Sicht bleibt zu klären, ob auch 13-Jährige, die wegen ihres Alters als strafunmündig gelten, durchsucht wurden. Selbst Innenminister Joachim Herrmann nennt die Durchsuchung "nicht verhältnismäßig und daher nicht rechtmäßig". Die Maßnahme war also gegen das Gesetz, was die Frage aufwirft, ob sich der Jugendbeamte auch der Freiheitsberaubung schuldig gemacht hat: Er hielt die Jugendlichen gegen ihren Willen nach Beendigung des Unterrichts fest. Diesen Aspekt werde man prüfen, wenn die Polizei ihre Ermittlungsergebnisse vorlegt, sagte Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch.
Was in der Schule bleibt, so ein Insider, sei ein Ohnmachtsgefühl bei den Betroffenen. "Dabei wäre es wichtig für die Schüler, das Geschehen zu verarbeiten und allen Gefühlen Raum zu geben", sagt eine Münchner Psychologin. Sonst bestehe die Gefahr, dass sich die verdrängten Emotionen später in kranker Form entladen.