Latein und Griechisch im Aufwind:Tote Sprachen leben länger

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Latein und Griechisch erleben einen Boom an bayerischen Gymnasien. Wegen der gestiegenen Nachfrage werden Lateinlehrer dringend gesucht.

Manuel Kugler

"Für die Spartaner ist der Befehlston typisch", sagt Leopold. "Die Athener dagegen schwafeln immer so viel - da artet das Griechisch immer gleich in lange Epen aus." Die Klasse lacht - auch Lehrer und Schulleiter Michael Hotz kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Eine Woche nach überstandener Klausur herrscht eine gelassene Stimmung im Klassenzimmer.

Die "toten" Sprachen erleben einen Nachfrageboom: 46 Prozent aller bayerischen Gymnasiasten lernen heute Latein. (Foto: Foto: dpa)

Es ist das erste Jahr Griechisch für die Klasse 8b am Münchner Wilhelms-gymnasium. An der humanistischen Schule sind Latein und Griechisch Pflichtfächer. Dass sich das Gymnasium vor Anmeldungen kaum retten kann, zeugt von der ungebrochenen Nachfrage nach den schon so oft totgesagten Sprachen. "Wir sind an der Obergrenze", sagt Schulleiter Hotz. "Wenn es mit den Anmeldungen so weitergeht, müssen wir sogar Schüler abweisen." Die Räumlichkeiten lassen es nicht anders zu.

Mit ihren Erfahrungen steht die Schulleitung nicht alleine da: Am Theresien-Gymnasium gab es vor zwei Jahren erstmals vier Eingangsklassen mit Latein als erster Fremdsprache. Und trotz des neuen Italienisch-Angebots kommt an der Schule stets auch eine Griechisch-Klasse zustande. Auch Hans Orgeldinger, Direktor des humanistischen Maximiliansgymnasiums, stellt in seiner Schule einen "signifikanten Anstieg" der Zahl der Schüler fest, die Latein und Griechisch lernen wollen. "Innerhalb Münchens, wage ich zu behaupten, ist das bei allen Schulen der Fall", sagt Orgeldinger.

"Latein und Griechisch sind keineswegs tot", bestätigt Werner Öl, Sprecher des bayerischen Kultusministeriums. 46 Prozent aller bayerischen Gymnasiasten lernen Latein, insgesamt 173 420 - und das mit steigender Tendenz. Davon lernt jeder Fünfte Latein sogar als erste Fremdsprache. "Man legt wieder mehr Wert auf Schlüsselqualifikationen wie analytisches Denken und Konzentrationsfähigkeit, die über Latein vermittelt werden", erklärt sich Michael Hotz den Trend. Die Zahlen für Altgriechisch hingegen liegen seit Jahren weitgehend konstant bei 3400. Angesichts der Nachfrage rät das Kultusministerium Lehramtsstudenten inzwischen wieder zum Fach Latein.

Tatsächlich suchen viele Gymnasien händeringend Lateinlehrer. Das Sophie-Scholl-Gymnasium zum Beispiel: "Unsere Lehrkräfte unterrichten seit Jahren nur Latein und nicht ihr zweites Fach, weil der Bedarf einfach so groß ist", berichtet Fachbetreuerin Sabine Springer. Auch Michael Hotz kennt die Problematik: "Es gibt einfach kein Personal. Viele Schulen müssen sich mit Quereinsteigern behelfen."

An beinahe allen Münchner Gymnasien können Schüler Latein ab der fünften oder sechsten Klasse wählen. Deutlich geringer hingegen ist das Altgriechisch-Angebot: Nur sechs Schulen - das Karls-, Ludwigs-, Maximilians-, Theresien-, Wittelsbacher sowie das Wilhelmsgymnasium - bieten Griechisch ab der achten Klasse an. An die neue Sprache haben sich die 20 Schülern der 8b schnell gewöhnt. "Ich fand vor allem interessant, die neue Schrift kennenzulernen", sagt Emina. "Aber schwierig ist es schon, weil man ganz genau hinschauen muss - oft unterscheiden sich die Wörter nur durch ein Kringelchen", meint Klemens.

"Latein zum Anfassen" erleben Viertklässlerinnen im Münchner Museum für Abgüsse klassischer Bildwerke. (Foto: Foto: dpa)

Lange Zeit galten Griechisch und Latein als klassische Durchfallerfächer. Zudem wurde ihnen jeder praktische Nutzen abgesprochen. Viele fragten sich, warum sie sich mit einer Sprache abkämpfen sollen, die nirgendwo auf der Welt, außer im Vatikan, gesprochen wird. Umso erstaunlicher ist die Wiedergeburt der antiken Sprachen an den Schulen. Harald Kloiber, Vorsitzender des Deutschen Altphilologenverbands in Bayern, glaubt, der Trend hänge mit den neuen Anforderungen an den Gymnasien zusammen: "Latein ist ideal, um Lernen zu lernen. Es ist überschaubar, hat eine klare Struktur und vermittelt auch, wie man sich fremden Stoffen nähert."

Latein ist eine Grundlagensprache. Es schult die Ausdrucksfähigkeit und das Grammatikverständnis. Der lateinische Wortschatz und Satzbau ist in viele andere Sprachen eingeflossen. Wer Latein hat, tut sich beispielsweise in Französisch oder Spanisch leichter. Auch Fachliteratur liest sich für einen Lateiner oder Griechen besser. Und schließlich gibt es auch noch praktische Gründe, die für die antiken Sprachen sprechen. Eine Reihe von Studiengängen, vor allem in den Geisteswissenschaften, verlangen immer noch das Latinum oder sogar das Graecum.

So weit denken die Schüler der 8b aber noch nicht. Für sie ist erstmal das Ergebnis ihrer Schulaufgabe spannender. Echte Sorgen machen müssen sie sich laut Michael Hotz nicht. "Hat schon gepasst", sagt er augenzwinkernd.

© SZ vom 08.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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