Zivildienst München:"Schafft den Zivildienst ab"

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Wenn die Zivis nur noch sechs Monate bleiben, ist ihr Einsatz vielerorts kaum noch sinnvoll. Einige Verbände setzen nun auf freiwillige Verlängerung.

C. Rost

Die Verkürzung des Zivildienstes von neun auf sechs Monate stößt bei den Münchner Wohlfahrtsverbänden auf deutliche Kritik. Die Entscheidung der Berliner Koalition gehe zu Lasten der Betreuung von alten und behinderten Menschen, fürchten die Verbände.

Sechs Monate Zivildienst lohnt sich für viele Wohlfahrtsverbände kaum noch. (Foto: Foto: AP)

Die Innere Mission sieht den Ersatzdienst immer mehr zu einem "Abfallprodukt des Wehrdienstes" verkommen. Missions-Geschäftsführer Günther Bauer fordert deshalb die Abschaffung des Zivildienstes.

Die Wohlfahrtseinrichtungen "gehen jetzt nicht den Bach runter", sagt Erich Geßner, Verantwortlicher für den Zivildienst im Caritasverband München und Freising.

Doch die zeitintensiven und menschlich so wertvollen Zuwendungen wie gemeinsame Spaziergänge, Vorlesen oder Spielen gingen künftig verloren. Betroffen seien davon alte Menschen und Behinderte, um die sich Zivildienstleistende bislang kümmerten.

Insofern sei die Verkürzung "außerordentlich zu bedauern", sagt Geßner. Fachkräfte in den Heimen und Betreuungseinrichtungen könnten diese Lücken nicht füllen.

Durch die Verkürzung sieht Geßner zudem den Sinn des Zivildienstes ausgehöhlt. Die jungen Männer fühlten sich nach den zweiwöchigen Seminaren in der Vorbereitung und den ersten Erfahrungen in der Praxis nach sechs Monaten gerade einmal so sattelfest, dass sie in ihren jeweiligen Arbeitsbereichen richtig anpacken könnten. Und just zu diesem Zeitpunkt werden sie künftig entlassen.

Beim Caritasverband sind derzeit 550 Zivis beschäftigt und damit schon weniger als halb so viele wie noch vor zehn Jahren. Geßner will bei den künftigen Zivis um eine freiwillige Verlängerung der Dienstzeit von bis zu sechs Monaten werben, wie es im Koalitionsbeschluss als Kompromiss vereinbart wurde.

Letztlich werde aber vielleicht jeder dritte oder vierte junge Mann länger bleiben, glaubt Geßner. Momentan sind in der Stadt München insgesamt 1052 Zivildienstleistende im Einsatz, rund 800 weniger, als Stellen zur Verfügung stehen.

Laut Bundesamt für Zivildienst ist derzeit "Saure-Gurken-Zeit", wie ein Sprecher sagte. Das liegt daran, dass viele Zivis ihre Pflichtzeit schon beendet haben, ehe die neu einberufenen ihren Dienst beginnen.

Günther Bauer von der Inneren Mission in München (IMM) sieht den Zivildienst durch die Verkürzung weiter "abgewertet durch die Politik". Er sei "noch nie ein Dienst aus eigener Quelle" gewesen, sondern immer nur ein "Abfallprodukt des Wehrdienstes".

Die kürzere Zivi-Zeit erlaube es nun gar nicht mehr, die jungen Männer mit anspruchsvollen Tätigkeiten zu betrauen, die eine gewisse Vertrautheit und Intimität mit den zu betreuenden Personen erforderten.

Bei der Inneren Mission werden die Zivis deshalb vorrangig im Hausmeisterservice oder in Hol- und Bringdiensten eingesetzt. Bauer sagt: "Die Abschaffung des Dienstes wäre die beste Lösung." Statt dessen sollten Angebote wie das Freiwillige Soziale Jahr gestärkt werden.

Die IMM, die 17 Zivis beschäftigt, hat sogar ein eigenes Angebot für junge Leute konzipiert: Von Herbst an bietet sie ein Kompass-Jahr an, bei dem man sich für ein Jahr verpflichten kann, in der Pflege oder Kindererziehung mitzuarbeiten.

Den Teilnehmern wird eine Unterkunft gestellt, sie erhalten monatlich 215 Euro für die Verpflegung und 195 Euro Taschengeld. Bauer hofft, so bei noch mehr jungen Leuten das Interesse für soziale Berufe wecken zu können. Aktuell gehe die Nachfrage nach solchen Angeboten eher zurück.

Bauer vermutet, dass dies mit dem Doppelabitur von G9 und G8 im Jahr 2011 zusammenhängt. Die Gymnasiasten versuchten, angesichts der drohenden Absolventenschwemme einen sicheren Studienplatz zu ergattern, ehe sie sich sozial engagierten.

Auch die Caritas will den Kontakt zu jungen Leuten unbedingt halten. "Das ist für die Nachwuchsgewinnung enorm wichtig", sagt Geßner. Im Freiwilligen Sozialen Jahr beschäftigt der Verband momentan 80 Teilnehmer - immerhin knapp 15 Prozent davon sind Männer.

Gerd Peter, Geschäftsführer der München Stift GmbH, die 18 Zivis beschäftigt, hält ein verpflichtendes Soziales Jahr für geboten. "Das würde der Gesellschaft gut anstehen, man muss sich nur mal die demographische Entwicklung ansehen", so Peter. Außerdem sollten junge Menschen "mit der Realität konfrontiert werden".

Mit einer völlig anderen Realität beschäftigen sich unterdessen die Freien Wähler in Bayern. Sie forderten am Mittwoch die Einführung eines "Freiwilligen Politischen Jahres", um Jugendliche im Landtag oder bei Stiftungen mehr für Politik zu interessieren.

© SZ vom 20.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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