Zirkusleben:Heimeliges Winterquartier

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Zur Weihnachtszeit hat der Zirkus Alfons William sein Lager in Unterhaching aufgeschlagen. Hier können die Artistinnen und Artisten für ein paar Tage zur Ruhe kommen und die Zeit mit der Familie genießen, ehe sie wieder der Stress der Proben und Vorstellungen im Griff hat

Von Sophie Kobel, Unterhaching

Auf dem etwas matschigen Weg Richtung Zirkuszelt erblickt der Besucher zunächst Lamas und Lamettafäden. Zwischen Wohnwägen, Schwertransportern und Koppeln spielen zwei Kinder mit dem Baby-Schäferhund "Balu", im Hintergrund döst ein Dromedar in der Wintersonne, aus dem Zelt ertönt gedämpft Blasmusik.

Vergangene Woche hat der Zirkus "Alfons William" in Unterhaching sein Lager aufgeschlagen, drei Wochen lang bleibt er auf der Wiese am Mühlweg im Süden der Gemeinde, jeden Tag gibt es eine Vorstellung.

Kimberley Lauenburger braucht nicht lange, um sich an einem neuen Ort zu aklimatisieren. "Wenn ich morgens aufstehe, meine Wohnwagentür öffne und unsere Tiere sehe, dann ist das für mich mehr Heimat als ein Haus oder eine Wohnung es je sein könnten", sagt die 21-jährige Artistin und steigt die Stufen zu ihrem Wohnwagen hoch.

Auf der Mühlwiese in Unterhaching hat der Zirkus "Alfons William" sein Winterquartier aufgeschlagen. (Foto: Claus Schunk)

Dort, zwischen drei mit schwarzem Leder bezogenen Sitzbänken und unter weißen Spitzen-Gardinen steht in der Ecke ein Weihnachtsbaum. Die Kugeln glitzern im Sonnenlicht, auf dem Esstisch daneben liegt eine Schale mit Lebkuchen und Äpfeln. Auf der anderen Seite des Raums ist eine moderne Küchenzeile in die Wand des Wohnwagens eingebaut. "Da kam an Weihnachten eine Gans rein", sagt Lauenburger und deutet auf den Ofen. "Wobei wir bei 25 Leuten natürlich immer viele Braten in mehreren Wohnwägen gleichzeitig machen", sagt sie und lächelt ein junges Mädchen an, das soeben in weiß-rot gestreiften Kniestrümpfen und grünem Tutu die Tür des Caravans hinter sich schließt. Es ist ihre Schwägerin, Angelina William.

Beide Frauen sind in Zirkusfamilien aufgewachsen. Lauenburger allerdings nicht bei den Williams, ihre Familie tourt mit einem eigenen Zirkus durch das Land. Von Kindheit an wurde die gebürtige Berlinerin von ihrer großen Schwester zur Artistin ausgebildet. Mit 17 verliebte sie sich in Roy William, den sie durch gegenseitige Besuche der beiden befreundeten Zirkusfamilien kennengelernt hat. "Wir sind teilweise 600 Kilometer hinterhergereist, um uns zu sehen. Vor zwei Jahren habe ich dann beschlossen, zu seinem Zirkus zu wechseln", sagt sie und bindet ihre langen schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen.

Marlon, Jason, Justin, Ashley, Angelina, Jerome und Jeffrey (von links) in ihrem weihnachtlich dekorierten Caravan. (Foto: Claus Schunk)

Dass die Artistin Weihnachten seitdem nicht mehr mit ihrer eigenen Familie feiert, ist für sie in Ordnung. "Wenn man zu einem anderen Zirkus wechselt, ist das, als ob man Teil einer neuen Familie wird. Wir feiern hier alle zusammen an Heilig Abend. Während der Nachmittagsvorstellung fängt meine Schwiegermama schon an zu kochen und abends gibt's Geschenke unter unserem größten Weihnachtsbaum. Wir haben ja so viele davon", blickt sie auf Weihnachten zurück.

Denn dekoriert wird bei den Williams immer. Um auch das Zelt, den Kassenbereich und jeden Wohnwagen mit weihnachtlichem Glitzerkram zu versehen, wie Lauenburger es nennt, reist der Zirkus bereits eine Woche vor Vorstellungsbeginn an. Es ist die einzige Zeit im Jahr, an der die Familie so lange an einem Ort bleibt. "Normalerweise bauen wir einen Tag auf, geben eine Woche lang Vorstellungen und dann geht's schon wieder weiter", sagt die Artistin "Aber Weihnachten ist auch für uns besonders und wir kommen ein wenig zur Ruhe."

In Unterhaching fühlt sich die Zirkusfamilie sehr wohl, auf der Wiese eines Bauern haben sie einen idealen Standort für die insgesamt bis zu 40 Fahrzeuge gefunden, mit denen sie von Stadt zu Stadt ziehen. Wenn Lauenburger sich dieses Jahr etwas wünschen dürfte "dann wäre es vielleicht, jedes Jahr dasselbe Weihnachtsquartier zu haben", sagt sie mit einem Schmunzeln. "Aber andererseits ist es ja eben die Ungebundenheit, die das Zirkusleben ausmacht. Wenn ich manchmal eine Woche lang bei Freunden oder meiner Oma bin und da den ganzen Tag im Haus sitzen muss, merke ich immer, das ist nichts für mich." Für Lauenburger, ihre Schwägerin und ihren Freund steht fest: "Wohnen gehen", wie sie es nennen, ist keine Option.

Und genug zu tun, das haben die drei auf jeden Fall. Denn das Zirkusleben verlangt ihnen viel ab. Jeden Morgen um sieben Uhr müssen die Esel, Pferde, Lamas und Dromedare gefüttert werden. Während ein paar Mädchen und Buben Flyer in der Umgebung verteilen, kochen die Mütter oder Omas für alle zu Mittag. Anschließend beginnen die Proben, es folgt die Aufführung. Viel Zeit für ein Leben außerhalb der Manege bleibt da nicht.

Auf eines legen de Zirkusmenschen allerdings besonderen Wert: auf ihren Glauben. Und so gehen sie zwischen den Proben für Roys Williams Saltos auf sechs übereinandergestellten Stühlen, Angelina Williams Hula Hoop Nummer und Kimberley Lauenburgers Luftakrobatik an Vertikaltüchern in jedem Ort mindestens einmal in die Kirche. "Wir sind Evangelen, der Glaube bestimmt zwar nicht unseren Alltag aber er ist uns wichtig", sagt Roy William und holt eine silberne Kette mit einem Kreuz unter seiner Trainingsjacke hervor. "Wenn ich hinter dem Vorhang auf meinen Auftritt warte, hole ich es jedes einzelne Mal raus und küsse es", sagt der 22-Jährige. "Ich weiß, das klingt ein bisschen kitschig, aber schließlich finden alle unsere Nummern ungesichert statt. Da ist ein bisschen Glaube schon wichtig". Nicht nur zur Weihnachtszeit.

© SZ vom 27.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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