Zamma:Kultur soll kein Luxus sein

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Beim Festival gibt es in dieser Woche in Haar viele Ausstellungen, Auftritte und Aktionen bei freiem Eintritt. Bei einer Diskussion mit Caritas-Geschäftsführerin Gabriele Stark-Angermeier verspricht Bürgermeisterin Müller, diesen Geist weiterzutragen

Von Bernhard Lohr, Haar

Hier eine Ausstellung, dort eine Lesung oder ein Konzert. Und überall stehen die Türen offen, wenn die Veranstaltung nicht ohnehin im Freien stattfindet. In Haar ist Kultur in der Woche des Zamma-Kulturfestivals an vielen Orten praktisch ohne Eintritt zu erleben. Man kann ihr fast nicht entkommen. Doch wie verhält es sich sonst? Wie sieht es da mit der Teilhabe an Kultur und überhaupt am Gemeinwesen aus? Ist die nicht einem kleinen, exklusiven Kreis vorbehalten?

Das Zamma-Festival soll kein Strohfeuer sein und die Gemeinschaft dauerhaft stärken. An Schulen und Kindertagesstätten liefen seit Wochen und Monaten Aktionen, die in diese Richtung Wirkung entfalten sollen. Grundschulkinder entwickelten ein Umweltbuch, schufen aus Plastikmüll Kunstwerke oder bemalten Hände, die am Jagdfeldsee über die Brücke wie ein Geländer in die Höhe ragen - als Zeichen dafür, dass Brücken notwendig sind, um Menschen zusammenzuführen. Die evangelische Kirchengemeinde und die katholische Pfarrei St. Bonifatius haben dort eine Installation samt Turm, Brücken und Bühne aufgebaut, die am Dienstag Plattform einer Gesprächsrunde unter dem Titel war "Wie viel Kultur kann ich mir leisten?".

Die Brücke der ausgestreckten Hände im Jagdfeld haben Grundschulkinder gestaltet. (Foto: Angelika Bardehle)

Caritas-Kreisgeschäftsführerin Gabriele Stark-Angermeier machte dabei deutlich, dass ein alleinstehender Hartz-IV-Empfänger mit 409 Euro im Monat von vielen Kulturveranstaltungen ausgesperrt wird. "Da bleibt nichts übrig", sagte sie und warb mit Verweis auf die bayerische Verfassung dafür, allen zu ihrem Recht auf kulturelle Teilhabe zu verhelfen. Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD) bezeichnete kulturelle Betätigung und auch Kulturgenuss als ein "zutiefst menschliches Bedürfnis". Sie gab sich selbstbewusst. Die Gemeinde tue viel, etwa bei der Kunst im öffentlichen Raum. Niemand solle ausgegrenzt werden. Bewusst seien die Ausgabestelle der Haarer Tafel und das Seniorenheim im Ortszentrum verortet. Müller sagte, die Gemeinde werde weiter Geld zur Verfügung stellen müssen, damit Aktionen stattfinden könnten. Der Gemeinderat entscheide. "Meine Unterstützung ist da", sagte sie. In diesem Sinn soll es Müller zufolge im Ratsgarten bald eine Klassik-Reihe geben, die ohne Eintritt allen offen steht.

Matthias Riedel, der Leiter des Kleinen Theaters in Haar, das vom Sozialpsychiatrischen Zentrum des Bezirks und von der Gemeinde im Verbund getragen wird, stellte sein Haus als offenes Haus mit sozialem Auftrag vor; niedrigschwellig will er agieren. Künstler, die vielleicht anderswo nicht zum Zug kämen, fänden dort Unterstützung, sagte er, und es gebe günstige Eintrittspreise sowie Sonderrabatte etwa für Patienten des Klinikums. Auch ist es in Haar laut Müller gute Übung, Veranstaltungstickets, die übrig bleiben, am Haarer Tisch an Bedürftige abzugeben.

Die Kirchen veranstalten im Schatten der Turm-Installation Diskussionsrunden. (Foto: Angelika Bardehle)

Dagmar Richter, Vorsitzende des Vereins Hand in Hand Haar, warb für einen offenen Kulturbegriff. Vielen gehe es darum, sich zu verwirklichen: "Was ist mir ein Herzenswunsch, was liegt mir am Herzen?" Das sei zentral. Und: "Das hat nichts mit Geld zu tun." Richter warb dafür, den Zamma-Geist weiterzutragen, wie er bei einer seit Monaten laufenden Aktion des Künstlerkreises zum Ausdruck kommt. Der Künstlerkreis hat Stoffe mit 6000 Handabdrücken von Bürgern bedruckt und will am Donnerstag, 22 Uhr, begleitet von einer Performance das Rathaus verhüllen. Die, die mitgemacht hätten, zeigen laut Richter: "Ich bin auch dabei." So etwas sollte es jährlich geben. "Man kann viele Dinge verhüllen", sagte Richter.

Viele Haarer haben in den vergangenen Wochen nicht nur symbolisch per Handabdruck zum Ausdruck gebracht, dass sie Teil von Haar sind und mitreden wollen. Sie nahmen das Angebot der Künstlerin Anja Ruttkowski an, Wünsche an das Rathaus zu formulieren. Als "Wunschkonzert" ist das tituliert. Die Aussagen wurden notiert, auf Band aufgenommen und Videos gemacht, die seit Tagen im Schaufenster der Buchhandlung Lesezeichen laufen. Dort ist zu hören, dass viele der Straßenverkehr belastet. Sie wünschen sich, dass Radwege ausgebaut werden, Schleichverkehre aus Wohnvierteln verdrängt und Tempo-30-Zonen besser markiert werden. Ein Kind möchte eine "Spielstraße", ein anderes mehr "Blitzer", weil die Autofahrer "viel zu schnell fahren". Jemand aus Ottendichl will, "dass die Dörfer ihren Charakter behalten". Und ein anderer, dass "gestaffelte Mieten" eingeführt werden, weil Wohnraum "nicht mehr bezahlbar für den Mittelstand" ist. Viele weitere Wünsche und auch Ängste - etwa vor weiterem Zuzug - werden geäußert.

Guerilla-Strickerinnen ummanteln Verkehrsschilder, Baumstämme und geparkte Fahrräder mit farbenfrohen Strickdeckchen. (Foto: Angelika Bardehle)

Der Erfolg gerade dieser Aktion wirft die Frage auf, ob nicht neue Wege der Bürgerbeteiligung geöffnet werden müssen. Bei Bürgerversammlungen werden selten Wünsche, Forderungen oder gar Anträge formuliert - als lebten in Haar wunschlos glückliche Menschen. Dass das freilich nicht so ist, hat Zamma schon gezeigt.

© SZ vom 06.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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