Zamma-Festival:Wünsche und Wirklichkeit

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Bessere Noten, Wohnraum für alle, Abschaffung der Prostitution - das Spektrum der Thesen ist breit. (Foto: Claus Schunk)

Bürger und Kirchenvertreter diskutieren über Thesen zur Gesellschaft. Die Haarer hatten ihre Gedanken an einem Turm am See notiert, teils mit sehr persönlichen Inhalten.

Von Nadja Tausche, Haar

Vor 500 Jahren verfasste Martin Luther seine 95 Thesen. Er kritisierte unter anderem den Ablasshandel der römisch-katholischen Kirche und entfachte damit eine Diskussion, die weit über die Grenzen von Wittenberg hinausging. Eine Diskussion zu ebensolchen Thesen fand auch am vergangenen Donnerstag mit der Podiumsdiskussion "Friedlich und frei - Gemeinschaft braucht Debatten" statt. Diesmal ging es um Thesen, die Haarer Bürger für die heutige Zeit aufgestellt haben: Über diese diskutierten sie mit Arnd Brummer, Chefredakteur des evangelischen Magazins Chrismon, und der Leiterin des Evangelischen Bildungswerks Rosenheim-Ebersberg, Christine Kölbl.

Denn in dieser Woche haben die Haarer Bürger beim Zamma-Kulturfestival die Möglichkeit, ihre ganz eigenen Thesen aufzustellen. Sie können für Haar oder für ganz Deutschland formuliert sein, sich um Religion oder etwas anderes drehen. Das Projekt läuft unter dem Motto "Grenzen überwinden - Brücken bauen". Die Thesen wurden entweder per Mail an eine der beiden Gemeinden geschickt oder öffentlich aufgeschrieben: Dazu hat der Ortsverband München Land des Technischen Hilfswerks beim See am Jagdfeldring einen Turm aufgebaut. Auf dem zweistöckigen Metallgerüst stehen auf halber Höhe handgeschrieben die unterschiedlichsten Gedanken.

Von "Ich wünsche mir das der Herr Beer wieder ins Hort kommt" über "Bekennen wir unseren Glauben im Alltag!" bis hin zu "Ich habe mir sagen lassen, dass wir in einer Wirtschafts-Diktatur leben, und ich erachte das als erschreckend wahr" ist alles dabei. "Wir wollen, dass Menschen dort Begegnung finden und diskutieren können", sagt Dagmar Häfner-Becker. Sie ist Pfarrerin an der Evangelisch-Lutherischen Jesuskirche, die das Projekt in Kooperation mit dem Katholischen Pfarrverband Haar und der Evangelischen Kinder- und Jugendhilfe Feldkirchen organisiert hat.

"Für mich ist es der Sinn der Kirche zu streiten."

Arnd Brummer plädiert für eine Streitkultur in der Kirche. (Foto: Claus Schunk)

Bei der Podiumsdiskussion wurden sowohl einige der Thesen diskutiert als auch die Frage, wie sich die Kirche heute positionieren soll. Die hohen Austrittsraten, sagte Kölbl, seien ein Zeichen dafür, dass die Leute nicht mehr daran glauben, dass christliche Einrichtungen ihnen Sicherheit geben. "Was wir brauchen, ist eine Kirche, die bereit ist, ihre Werte auch mal zu hinterfragen." Und Brummer fügte hinzu: "Für mich ist der Sinn der Kirche zu streiten." Man stelle zwar Thesen auf, aber später stellten sich diese vielleicht als falsch heraus - und dann müsse man neu streiten. Für ihn sei das Wichtigste, so Brummer, die Dinge immer zu hinterfragen.

"Wenn wir etwas an der Kirche verändern wollen, geht das nur von unten nach oben", brachte sich ein Besucher in die Diskussion ein. Denn die Einrichtungen an der Spitze seien nicht bereit zu Veränderung. Genau diese Entwicklung sehe er auch in der Praxis, erklärte Brummer: Obwohl in der katholischen Kirche zum Beispiel offiziell nur katholische Christen das Abendmahl empfangen dürfen, gebe es in der Praxis der Gemeinden längst das gemeinsame Abendmahl.

Eine andere Besucherin erklärte, wie sie ihre These meinte: Alle hätten den Wunsch, dass sich Kirchen in die öffentliche Debatte einbringen. "Prostitution verstößt gegen die Würde der Frau - aber unsere Kirchen halten sich auf diesem Gebiet leider total zurück." Da gebe sie ihr recht, sagte Kölbl, auch sie finde, dass sich die Kirche zu wenig in kritische Themen einmische. In jedem Fall sind den Haarern eine Menge Themen eingefallen, die in der heutigen Zeit zu diskutieren sind. Wie viele Thesen genau aufgeschrieben wurden, wisse er zwar nicht, sagt Josef Dimpfl vom Katholischen Pfarrverband Haar - "aber wenn wir nochmal so eine Fläche hätten, würde die auch noch voll werden."

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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