WM-Titel:Wir sind Weltmeister

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Boogie-Woogie-Tänzerin Theresa Sommerkamp. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Sechs Sportler aus dem Landkreis haben geschafft, wovon die Fußball-Nationalelf erneut träumt. Wie es ist, den Titel zu gewinnen - jedoch ohne dass die Öffentlichkeit groß Notiz davon nimmt.

Von Irmengard Gnau und Helena Ott

An diesem Wochenende startet für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft die Mission Titelverteidigung: Mit dem Spiel gegen Mexiko greift der amtierende Weltmeister in die Fußball-WM ein. Mats Hummels, Mesut Özil, Manuel Neuer - diese Namen sind fast jedem geläufig - auch Menschen, die sich weniger für Ballsport interessieren. Doch wer kennt die Weltmeister und Weltmeisterinnen im Kajak, Taekwon-Do oder Boogie Woogie? Dabei wohnen sie hier im Landkreis und trainieren nicht weniger hart als die Spieler der Nationalelf. Ihr einziger Vorteil: Weil ihre Sportarten außergewöhnlicher sind, müssen sie sich beim Kampf um die Spitze gegen weniger Konkurrenz behaupten. Sechs Spitzensportler aus dem Landkreis München erzählen, wie es ist, einen Weltmeistertitel zu gewinnen, ohne dafür weltberühmt zu werden.

Taekwon-Do

Kampfsportler Michael Baader. (Foto: privat)

Michael Baader, 17 und Mitglied des SV-DJK Taufkirchen, wurde 2017 Weltmeister im koreanischen Kampfsport Taekwon-Do. Mit dem deutschen Kader von 40 Kampfsportlern fuhr er zur WM nach Athen. Der Verdienst: zwei Tage schulfrei. "Ich finde es nicht so ungerecht, dass die Fußballer mehr Aufmerksamkeit bekommen, sie stehen unter enorm höherem Druck - Tausende Fans am Spielfeldrand erwarten alle, dass sie ihre Bestleistung abrufen", sagt Michael Baader.

Fast hätte er seinen eigenen Weltmeistertitel verpasst. In den entscheidenden Kämpfen bei der WM in Athen wurde er in der ersten Disziplin Dritter, beim nächsten Kampf Zweiter und erst beim letzten Mal im Ring, bei den Taekwon-Do-Formen - dabei kämpft man gegen einen imaginären Gegner - konnte sich Baader gegen den Australier und einen US-Amerikaner durchsetzen. Statt vom Bundespräsidenten wurde er vom Abgeordneten seines Wahlkreises geehrt - ohne Preisgeld.

Baader ist trotzdem stolz. "Vor allem darauf, wie unser Team zusammenhält, obwohl wir teilweise in Konkurrenz zueinander stehen." Jeder versuche, den anderen voranzubringen. Ihm gehe es nicht darum, reich und berühmt zu werden. "Im Taekwon-Do habe ich viel mehr als einen Kampfsport gelernt. Man lernt, andere einzuschätzen, auch ein Bewusstsein für den eigenen Körper, Einblicke in die Philosophie und Respekt. Mein größter Gewinn nach der Weltmeisterschaft ist, dass ich mir das immer vor Augen halten kann. Egal was kommt, ich kann sagen: Du hast so viel geschafft, das klappt jetzt auch."

Kanu

Kanute Nico Paufler. (Foto: Lukas Barth)

Nico Paufler, 19, aus dem Ismaninger Ortsteil Fischerhäuser, fährt schon seit sieben Jahren bei nationalen und internationalen Kanu-Wettkämpfen mit. 2017 errang er in seiner ersten Saison nach dem Sprung von den Junioren zu den Herren im österreichischen Murau den Weltmeistertitel der U23 im Wildwasser-Kajak-Einer über die lange Distanz. Paufler ist heute noch ein wenig überwältigt, wenn er an das Gefühl zurückdenkt, nachdem er damals die Ziellinie überquert hatte und das Ergebnis auf der Anzeigetafel sah. "Ich hätte nie gedacht, dass das möglich ist", sagt der Student der Kunststofftechnik. "Ich habe mich riesig gefreut."

An jenem Tag stand sein Telefon nicht mehr still. Bis abends musste er Glückwünsche entgegennehmen. Der Bundespräsident war zwar nicht unter den Gratulanten, dafür aber der Bürgermeister seiner Heimatgemeinde und natürlich viele Bekannte. "Meine Freunde und Fans haben zuhause vor dem Laptop gesessen und das Rennen im Livestream verfolgt", erzählt er. In den vergangenen zwei, drei Jahren hat Paufler mit Wohlwollen verfolgt, dass der Kanurennsport sich besser präsentiert und beispielsweise Übertragungen professioneller begleitet werden. "Das ist sehr wichtig", findet er, "dadurch bekommt der Sport mehr Aufmerksamkeit. Ich glaube, viele Sportarten neben Fußball würden die Leute interessieren, wenn sie denn entsprechend publik wären."

Neidisch auf die Dominanz der Fußballer ist Paufler aber nicht. Im Gegenteil. Als großer Fußballfan sieht er den beliebtesten deutschen Fernsehsport eher als Vorbild für andere Disziplinen. Vom Kanusport allein einmal leben zu können, ist für Paufler im Moment noch undenkbar.

Skibob

Skibobfahrer Alexander Kainz. (Foto: privat)

Alexander Kainz, 53, vom SBC Ottobrunn muss ein wenig zurückdenken, wenn er sich an seinen Weltmeisterlauf erinnert. 1989 fand der statt, Kainz setzte sich am Hang in Oberammergau mit seinem Skibob im Slalom der Herren gegen alle Konkurrenten durch. Der Triumph war der Gemeinde Aying, wo er damals wohnte, einen offiziellen Empfang wert, erinnert sich Kainz. Sogar beim Sportler-Neujahrsempfang des bayerischen Ministerpräsidenten war er einmal eingeladen, der hieß damals noch Franz Josef Strauß. "Aber das war, nachdem ich die Jugend-WM gewonnen hatte." Schon als Schüler wurde der heute 53-Jährige auf den Skibobsport aufmerksam. Der damalige Chef des Ottobrunner Vereins machte in der Schule Werbung. Die rasante Winterdisziplin, bei der man auf einem mit Skiern versehenen und einem Fahrrad nicht unähnlichen Sportgerät den verschneiten Hang hinunterfährt, wollte sich Kainz einmal anschauen. Er zeigte Talent, wurde schließlich in die Nationalmannschaft berufen. "Es war eine Leidenschaft", sagt er heute.

Die war auch nötig, denn das Skibobfahren auf hohem Niveau forderte einiges an Einsatz, von Kainz wie auch von seinen Eltern, die ihn teilweise viele Kilometer weit zu Wettkämpfen fuhren. "Für den WM-Titel habe ich damals sogar ein paar tausend Mark bekommen", sagt Kainz, "aber das steht ja in keinem Verhältnis zu dem Aufwand." Anfang der Neunzigerjahre beendete er seine aktive Laufbahn. Warum seine Sportart in Deutschland nicht so prominent ist, führt Kainz unter anderem auf das etwas unhandliche Sportgerät zurück: Bei etwa 2,30 Metern Länge kann ein Skibob schon einmal 20 Kilo wiegen.

Boogie Woogie

Theresa Sommerkamp, 17, tanzt bei den Boogie Magic's des TSV Hohenbrunn. Gemeinsam mit ihrem Partner Elian Preuhs gewann sie das Finale der Weltmeisterschaft in Schweden im Paartanz. "Als wir da auf der Bühne standen und dann alle deutschen Tänzer auf uns zugestürmt kamen, das war ein hammermäßiges Gefühl", sagt Sommerkamp. Das Paar hatte sich zum Ziel gesetzt, ins Finale zu kommen. Dass sie sich gegen die anderen sechs Paare durchsetzen würden, daran wagten sie nicht zu denken.

Theresa Sommerkamp und Elian Preuhs (Foto: privat)

Im Boogie kann man keine Choreografie einstudieren. Die Tänzer bereiten sich auf 500 Lieder vor - eines wird zufällig ausgewählt. Auf der Bühne müssen sie dann jedesmal improvisieren. Der Tänzer führt und denkt sich spontan Figuren aus. "Elian zeigt mir mit Handhaltungen an, was wir tanzen. Bei der WM-Vorrunde hat das nicht immer direkt geklappt - aber wir hatten auch bisschen Pech mit dem Lied". Da hilft es, dass sich Theresa und Elian so gut und lange kennen: Schon seit der Grundschule tanzen sie zusammen, haben vor der WM fünfmal pro Woche trainiert. "Es ist schon spannend auch mal mit einem anderen zu tanzen, aber für einen Wettkampf würde ich Elian nie eintauschen. Es kommt sehr viel auf Paarharmonie an."

Ein Preisgeld haben die beiden bei der WM nicht bekommen, dafür ganz viele Anrufe und Whatsapp-Nachrichten von Freunden. "Besonders gefreut hat mich das Banner, das meine Cousinen auf dem Balkon aufgehangen hatten, als ich von der WM zurückkam", sagt die 17-Jährige. Geändert hat sich laut Sommerkamp seit dem Weltmeistertitel wenig. Sie und ihr Partner trainierten allenfalls noch härter, weil sie jetzt in die Erwachsenenkategorie aufgestiegen sind. Neu ist dabei der Slow-Boogie, der erotische Stil im Boogie. "Jetzt fangen wir wieder ganz unten an, aber wir sind uns beide sicher, dass wir weitertanzen wollen. Unser gemeinsamer Traum ist es, auch bei den Erwachsenen zur Weltmeisterschaft zu fahren".

Wurf-Fünfkampf

Leichtathlet Norbert Demmel. (Foto: privat)

Norbert Demmel, 55 und Mitglied des TSV Unterhaching, wurde 2015 Senioren-Weltmeister im Werfen. Im Diskuswurf konnte sich der Leichtathlet deutlich von 40 anderen Sportlern absetzen. Dann wurde es knapp: Im Wurf-Fünfkampf - nacheinander werden dabei Hammer, Speer, Diskus, Kugel und ein Gewicht geworfen - musste er gegen den Weltrekordhalter antreten. Mit 4248 Punkte holte Demmel den Weltmeistertitel in dieser Disziplin.

Sein Gefühl, als die Punkte bei der WM verkündet wurden: "Es ist, wie wenn man seine bestandene Abiturprüfung zurück bekommt. Man fühlt sich so schön zufrieden." Damit, dass die Weltmeister Hummels, Neuer und Müller viel mehr Ruhm abbekommen, hat er nach eigenen Worten kein Problem: "Die Wettkämpfe sind für mich Antrieb, ich freue mich irre über jeden Erfolg - und die Vorbereitung reißt mich aus dem Alltag raus."

Ein Leben ohne Sport sei das Schlimmste, was er sich vorstellen könne. "Neben meiner Familie ist es mein wichtigstes Lebenselixier", sagt Demmel. "Gewisse Angst" habe er schon vor dem Älterwerden, "aber ich habe mein Leben lang so viel Sport gemacht und spüre kaum Verschleiß, da bin ich optimistisch, dass ich das bis ins hohe Alter machen kann." Seine größten Fans sind seine Frau und seine Tochter. Schon als er noch aktiver Profisportler in der Hauptklasse war, habe seine Frau ihn immer sehr unterstützt. "Es bedeutet mir viel, wenn sie mich zu Wettkämpfen begleitet."

Zum ersten deutschen WM-Spieltag am Sonntag wird auch Demmel vor dem Fernseher sitzen. "Klar bin ich der Meinung, dass im Fußball viel überzogen ist, aber es ist eben eine Weltsportart. Und jetzt freu' ich mich einfach, dass ich mir die nächsten Wochen jeden Tag interessante Spiele ansehen kann."

Ultimate Frisbee

Frisbee-Spielerin Valerie Ebner. (Foto: privat)

Valerie Ebner, 34, heißt noch Möller, als sie ihren Titel holt: Im Finale am Strand von Dubai läuft schon die Nachspielzeit, als ein weiter Pass durch die Luft segelt und schließlich ihre Hände erreicht. Mit festem Griff umschließt sie die Scheibe: Geschafft! Das Spiel ist entschieden, das deutsche Team ist soeben Weltmeister im Ultimate-Frisbee-Beach-Wettbewerb der Mixed-Teams geworden! Valerie Ebner und ihr heutiger Mann Josef sind zwei von sechs Spielern aus der Frisbee-Mannschaft des TSV Unterföhring, die 2015 den Titelgewinn feiern dürfen. Das Training hat sich gelohnt. Als absoluter Außenseiter fuhren die Deutschen zur WM, schließlich ist Frisbee hierzulande ein Amateursport, anders als etwa in den USA.

Auch die Anreise zahlten die Sportler aus eigener Tasche. Doch es hat sich gelohnt, sind sich Valerie und Josef Ebner einig. Dass Fußballer mehr Aufmerksamkeit bekommen, stört Josef Ebner nicht. "Ich habe nicht unbewusst so eine Randsportart gewählt", sagt er. Schließlich könne zuviel Geld einen Sport auch verderben. Beim Ultimate Frisbee konzentriere sich der Ehrgeiz noch ganz aufs Sportliche.

© SZ vom 16.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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