Vorausgeschaut:Mehr Platzkonzert als Weckruf

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Mit einem Ständchen ins neue Jahr: Mitglieder der Stadtkapelle Unterschleißheim bei ihrem traditionellen Neujahrsanblasen auf der Dachterrasse des Seniorenwohnheims am Valentinspark. (Foto: privat)

Der ländliche Brauch des Neujahrsanblasens wird auch in einigen Orten am Stadtrand wie in Pullach oder Unterschleißheim gepflegt - nur anders

Von Claudia Wessel, Unterschleißheim/Pullach

Man stelle sich vor: Es ist Neujahr, man liegt noch benommen im Bett, möglicherweise mit Kopfschmerzen und versunken in Träume aller Art, da ertönt ein Trompetensolo vor der Gartentür. Vermutlich wäre davon niemand allzu begeistert und noch weniger zu Spenden für die Musiker aufgelegt. Daher wird der alte Brauch der Neujahrsanblasens zumindest in Pullach nicht am Tag nach, sondern am Tag vor Silvester gepflegt, und angesichts der verbreiteten Urlaubszeit zwischen den Jahren zu einer humanen Uhrzeit. Die Pullacher Blasmusik jedenfalls tritt an diesem Montag um 13.30 Uhr auf dem Parkplatz der Geschäfte Lidl und Simmel auf, um 14.15 Uhr am Jakobsplatz und um 15 Uhr am Kirchplatz.

Auch die Auftritte an drei festgelegten Orten sind vielleicht rücksichtsvoller als der ursprüngliche Brauch. Da nämlich gingen die Musikanten spielend von Haus zu Haus und das nur wenige Tage vor den Sternsingern alias den Heiligen Drei Königen, die dann auch noch um Gaben bitten. "Wir haben das eher pragmatisch gestaltet, wir wollen die Menschen nicht aus dem Bett klingeln", sagt die Vorsitzende der Pullacher Blaskapelle, Parastou Münzing. "Man muss ja auch die Leute zusammen bringen." In der Weihnachtsferienzeit sind eben nicht alle der zirka 50 Mitglieder der Blaskapelle da. "Wir spielen mit 15 bis 20 Leuten", so Münzing. "Wir müssen auch an die Plätze passen. Der Lidl würde sich schön beschweren, wenn wir dort mit 50 Leuten aufkreuzen würden."

In der kleinen Version der Blaskapelle sind aber alle Stimmen vertreten, sodass es keine Abstriche beim Repertoire geben muss. Die Klänge, die ertönen werden, sind nicht mehr besinnlich, sondern powervoll. Schließlich soll es mit neuer Kraft ins neue Jahr gehen, so Münzing. Die Märsche "Wien bleibt Wien", "Tölzer Schützenmarsch", "Ruetz-Marsch" und die "Sternpolka" wird man auf jeden Fall hören. "Vielleicht auch Icecream", verrät Münzing. "Je nach Wetter."

Auf die Idee, den alten Brauch neu zu beleben, waren die Pullacher vor gut vier Jahren gekommen. Beim ersten Mal standen die Musiker 2016 noch etwas einsam da, doch inzwischen sind die Auftritte ein bekanntes Ereignis. Wem es gefällt, der darf gerne etwas spenden. "Wir werden einen Koffer aufstellen", sagt Münzing.

Das Neujahrsanblasen der Unterschleißheimer Stadtkapelle gibt es dagegen seit mehr als 30 Jahren, sagt Sprecher Matthias Riedel. Und zwar immer am selben Ort: auf dem Dach des Hauses am Valentinspark, einem Seniorenheim. Dort spielen die Musiker um 11 Uhr. Wie weit das Ständchen zu hören sein wird, muss man abwarten. "Trotz größter Anstrengungen liegt es letztlich natürlich an Wind und Wetter, wie weit die Melodien tatsächlich durch Unterschleißheim getragen werden", so Riedel.

Nach dem Ständchen auf dem Dach ziehen die Musiker dann wirklich noch von Tür zu Tür, allerdings nur in dem Seniorenheim selbst, also von Etage zu Etage. Die älteren Herrschaften freuen sich darüber immer sehr, sagt Riedel, denn viele von ihnen könnten nicht mehr aus dem Haus gehen. Auch für die Mitarbeiter sei es eine willkommene Abwechslung im Dienst.

Das Neujahrsanblasen gibt es laut Josef Dirschl, der im Internet die Seite www.brauchtumsseiten.de betreibt, nur noch in Bayern. Es gehört zu den sogenannten Lärm- und Weckbräuchen. Dirschl stammt aus der Gemeinde Baiern bei Glonn, wo es das Neujahrsanblasen noch in der traditionellen Form gibt, allerdings nicht jedes Jahr. "Bei uns gehen die Musiker noch von Haus zu Haus, spielen ein Ständchen und bekommen Schnäpse, Schokolade, Weihnachtsgebäck oder auch ein wenig Geld", sagt er. Auch Matthias Riedel kennt den Brauch aus ländlichen Gemeinden, etwa aus Münsing am Starnberger See, wo die Musiker ebenfalls von Haus zu Haus gehen und dabei nicht schlecht verdienen, denn die Menschen, die den Brauch kennen und lieben, spenden gerne etwas.

Dass die Neubelebung alter Sitten manchmal auch an pragmatischen Dingen scheitern kann, zeigt das Beispiel der Musikvereinigung Oberschleißheim. 2018 hatten die Musiker den alten Brauch neu eingeführt. In den Jahren danach schafften sie es aber einfach nicht, genügend Musiker in den Ferien zusammenzutrommeln, wie Vorstand Florian Riermeier erklärt. "Aber vielleicht klappt es 2021."

© SZ vom 30.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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