Jugendzentrum Gleis 1:Urnengang in Unterschleißheim

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Die Schüler haben sich intensiv mit den Wahlprogrammen befasst. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Dank eines Projekts können Gymnasiasten, Real- und Mittelschüler bereits jetzt ihr Kreuzchen zur Bundestagswahl machen. Vor dem Votum haben die 13- bis 17-Jährigen die Grundsatzprogramme der Parteien durchforstet.

Von Gudrun Passarge, Unterschleißheim

Der Jugendliche mit dem gewinnenden Lächeln hat seine Stimme schon abgegeben. "Ich habe mal die Partei gewählt, von der ich denke, dass sie gut ist", sagt er und zeigt auf die Stellwand, auf der Stichpunkte zu den Parteiprogrammen unter bestimmten Aspekten aufgelistet sind. Er habe sich besonders für das Thema Soziales und Familie interessiert und findet es gut, dass die SPD Familiengeld und Familienarbeitszeit anbieten will. Wahltag an der Therese-Giehse-Realschule in Unterschleißheim. Dank eines Projekts des Jugendzentrums Gleis 1 können Jugendliche jetzt schon ihr Kreuzchen zur Bundestagswahl machen.

Markus Baier, Leiter von Gleis 1 und Mitarbeiter des Kreisjugendrings, hat das Projekt "Bundestagswahl mit Pausenbrot" betreut. Am Anfang stand der schwierigste Teil, die jungen Leute mussten die verschiedenen Wahl- oder Grundsatzprogramme durchforsten und nach Themen aufarbeiten. Die Mittelschule, die Realschule, das Gymnasium, alle machten mit und schickten jeweils 20 Schüler im Alter zwischen 13 und 17 Jahren, die besonders interessiert waren, die Realschule hatte eine ganze Klasse entsendet.

Repräsentativ dürften die Ergebnisse kaum sein, aber spannend. (Foto: Alessandra Schellnegger)

An acht Tischen, jeder war einer etablierten und in Landesparlamenten vertretenen Partei zugeordnet, diskutierten die Jugendlichen zunächst noch ohne Struktur über die Themen, dann durften sie sich frei entscheiden, wohin sie sich setzen wollten, also ob sie eher die Piraten, die Linken oder die Freien Wähler auf Herz und Nieren prüfen wollten. "Es hat sich relativ gut verteilt", erzählt Baier. So seien am CSU-Tisch beispielsweise von den acht Leuten zwei sitzen geblieben, die anderen hätten sich einen neuen gesucht. Seine Beobachtung: Die Jugendlichen taten sich teils schwer, die Wahlprogramme zu lesen. "Es gab viele Fragen zu Fremdworten", sagt Baier und fügt hinzu, die Programme seien "nicht jugendgerecht geschrieben". Außerdem fällt sein Urteil zu den unterschiedlichen Parteiprogrammen sehr differenziert aus. "Es gab auch ganz fürchterliche", wobei er sich weniger auf die Inhalte, sondern vor allem auch auf das Layout, fehlende Inhaltsverzeichnisse und die Aufteilung bezieht. Aufgefallen ist ihm, dass die kleineren Parteien das teils besser ausgearbeitet hätten als die großen.

An drei Freitagen können die Schüler ihre Abgeordneten wählen

Vorgezogene Bundestagswahl für die Schüler in Unterschleißheim. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Und welche Interessen zeigten die Jugendlichen bei ihrer Arbeit? "Ganz oft kam das Thema Umwelt. Die Jugendlichen haben da sehr nachgehakt." Aber auch Soziales und Familie oder das Thema Sicherheit hätten im Fokus gestanden. Insgesamt haben sie die Programme auf neun Themenbereiche hin zerpflückt und ihre Stichworte dazu an einer Pinnwand festgemacht. Da steht dann beispielsweise unter Soziales und Familie zu lesen, dass die AfD Familie im klassischen Sinne sieht: "Vater arbeitet, Mutter - Haushalt". Manche Stichpunkte sind auch nicht auf Anhieb verständlich, so steht unter dem Punkt Arbeit etwa die neue Wortschöpfung "Eigenverdanken" zu lesen, vermutlich solle das Eigenverantwortung heißen, sagt Baier. Er kennt die kleinen Fehler der Texte, "aber wir wollten das absichtlich stehen lassen. Das macht auch deutlich, wie schwierig solche Wahlprogramme zu lesen sind".

An drei Freitagen haben die Schüler nun Gelegenheit, ihre Abgeordneten zu wählen. Das Gymnasium hat seine Wahl schon hinter sich. "Da hätten die Pausen ruhig länger sein können", sagt Baier. Etwa 170 Schüler machten mit, "sonst wären es bestimmt 200 gewesen". Die Rückmeldung war positiv, die Jugendlichen hätten gesagt, so ein Angebot habe schon lange gefehlt. Es sei eben doch ein Unterschied, ob man das im Unterricht behandelt oder ob man sich als Wähler ganz praktisch damit auseinandersetze.

Die Gymnasiasten und Realschüler haben schon gewählt, diese Woche werden die Mittelschüler ihre Stimme abgegeben. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Jugendliche zu selbständigen Bürgern erziehen

In der Realschule ist der Andrang in der ersten Pause nicht ganz so groß. Einzelne Schüler diskutieren vor den Plakatwänden. "Ich schätze, dass am Ende die großen Parteien vorne liegen", sagt einer. Zwei Mädchen holen sich einen Stimmzettel. Sie hätten sich besonders das Thema Soziales und Familie angeschaut, sagen die beiden 14-Jährigen, aber auch der Punkt Umwelt war ihnen wichtig. "Es ist cool, dass es möglich ist, an der Schule zu wählen", sagen sie und eilen zurück ins Klassenzimmer.

Für Karin Lechner war es gar keine Frage, bei dem Projekt mitzumachen. "Es ist ganz wichtig, dass die Kinder sensibilisiert werden für politische und demokratische Themen, für unsere Werte", sagt die Schulleiterin der Realschule. Sie sieht es als Aufgabe der Schule an, die Jugendlichen zu selbständigen Bürgern zu erziehen, die Verantwortung übernehmen. Vor allen Dingen lobt sie auch die Zusammenarbeit mit dem Kreisjugendring und dem Gleis 1, "das ist echt eine Bereicherung", sagt sie.

Markus Baier hat in der Schule sechs Helfer, Kollgen vom Gleis 1 und der Jugendsozialarbeit in der Schule. Nächste Woche steht noch die Wahl in der Mittelschule an, dann kommt für den Sozialpädagogen die Zeit der Auswertung. Nicht nur die Kreuze für die Parteien werden gezählt, Baier interessiert sich auch für die freiwilligen Zusatzangaben wie männlich/weiblich oder das Alter. Repräsentativ dürften die Ergebnisse kaum sein, aber es wird spannend sein, wer Kanzler werden würde, wenn die Jugendlichen zu entscheiden hätten.

© SZ vom 17.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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