Unterschleißheim/Haar:Heimat statt Heimplatz

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Das neue Haus in Unterschleißheim bietet Platz für 68 Bewohner. Jedes Zimmer hat ein eigenes Bad, auf jeder Etage gibt es eine Terrasse. (Foto: Johannes Simon)

Regenbogen Wohnen eröffnet in Unterschleißheim ein Haus für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Sie sollen dort möglichst selbständig leben, es gibt aber auch eine beschützende Einrichtung

Von Gudrun Passarge, Unterschleißheim/Haar

Die Frau hat sich wegen der Kälte gut eingepackt. Mütze, Schal, Stiefel, Einkaufstasche. "Wo geht's denn hier zum Edeka?", fragt sie die Leute, die vor dem Haus stehen. Die Frau ist noch neu in der Stadt, der "Wohnverbund Unterschleißheim für Menschen mit seelischer Behinderung" ist erst jüngst bezogen worden. Insgesamt sind es 68 Plätze auf fünf Etagen. Ins Erdgeschoss zieht Condrobs mit einer Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ein. Bezirkstagspräsident Josef Mederer lobte bei der Eröffnungsfeier den Geist des Trägers, die "Regenbogen Wohnen gemeinnützige GmbH", insbesondere die Menschlichkeit. "Die Menschen sind hier nicht im Heim untergebracht, sondern sie finden hier eine Heimat."

Der Träger Regenbogen kommt ursprünglich aus Haar, woran Götz Zilker, Vorstand des Unternehmens, erinnerte. Gegründet vor 30 Jahren war es dem Verein damals ein Anliegen, die Menschen mit psychischer Erkrankung aus dem Krankenhaus herauszubekommen, was nicht immer so einfach war, wie Zilker erzählte. Er erinnerte sich noch gut an die erste Wohngemeinschaft in Schwabing. Drei Frauen und ein Hund zogen dort ein, "aber wir haben über ein Jahr auf sie eingeredet". Sie hatten Angst, nach 30 Jahren Klinik das Haus zu verlassen. Aber dann gefiel es ihnen doch, der Anfang war gemacht. Und damit der erste Schritt in Richtung "Enthospitalisierung, Entstigmatisierung, Regionalisierung", wie Bezirkstagspräsident Mederer bemerkte. Neu für den Träger ist die beschützende Etage mit 13 Plätzen, wobei Mederer hervorhob, wie wichtig es sei, geschlossene Einrichtungen durch offene zu ergänzen, was jedoch in vier von fünf Einrichtungen in Oberbayern noch nicht der Fall sei. Mederer betonte, vorrangig sei, Menschen mit psychischen Erkrankungen die Rückkehr und die Teilhabe am Leben zu ermöglichen. Doch der Bezirkstagspräsident sprach von einem "verstopften System", weil es kaum bezahlbare Wohnungen gebe für solche Menschen, die alleine leben könnten. Damit blieben sie in den Einrichtungen und andere bekämen keinen Platz. "Da muss Gewaltiges passieren", forderte Mederer.

Immerhin bietet auch das neue Haus in Unterschleißheim 16 Plätze für betreutes Einzelwohnen. Diese Appartements für Bewohner, die allein zurechtkommen, sind im vierten und fünften Stock untergebracht. Die Mieter allein haben den Schlüssel zu ihrer Wohnung, erklärt Einrichtungsleiter Michael Thiede. "Das Hauspersonal kommt hier nicht rein." Meist gingen diese Bewohner auch einer Arbeit nach. Das Beschäftigungsangebot im Haus sei jedenfalls nicht für sie gedacht.

Dabei ist jede Menge Abwechslung vorgesehen. Maria Thomaser, Prokuristin bei Regenbogen, sprach von Kunst- und Ergotherapie, von einer kleinen Gruppe, die das Haus inklusive der Etagenterrassen begrünen und pflegen wird, von einem Brennofen im Keller, der auch Töpfern ermöglicht. Eine Bewohnerin äußerte gleich noch den Wunsch, eine Theatergruppe zu gründen.

Die Zimmer im ersten und zweiten Stock sind als 39 offene Heimplätze konzipiert. Mit strahlendem Lächeln lädt eine Frau gleich zur Besichtigung ein, sie hat sich schon wohnlich eingerichtet. "Die Gardinen gefallen mir sehr gut", sagt sie. Sie wohnt im blauen Stockwerk, es gibt auch noch ein gelbes und ein grünes. Da gerade Mittagszeit ist, sitzen die meisten Bewohner in der Gemeinschaftsküche.

Die beschützende Einrichtung ist im dritten Stock untergebracht. Hier ist alles etwas anders, wie Geschäftsführerin Margot Kainz demonstriert. Fenster nur zum Kippen, Spiegel aus Plastik, tiefergehängte Heizungskörper, spezielle Tür- und Schrankgriffe. Alles, um zu verhindern, dass sich jemand das Leben nimmt. Innerhalb der Etage können sich diese Bewohner frei bewegen. Sie haben speziell programmierte Schlüssel, die nur bestimmte Türen öffnen, die Haustür bleibt für sie jedoch verschlossen. Eine Ausnahme gibt es, wie Thomaser berichtet. Neben den Türen ist ein roter Knopf. "Den können sie jederzeit drücken und das Haus verlassen, wenn Gefahr besteht." Wenn es brennt, beispielsweise.

Mit dem neuen Haus hat Regenbogen sich nun aus Haar verabschiedet, die Bewohner des letzten Hauses dort sind in Unterschleißheim untergebracht. Zweiter Bürgermeister Stefan Krimmer (CSU) betonte, dass die Stadt das Konzept von Anfang an für gut befunden hatte. Er bezeichnete Unterschleißheim als "Stadt mit sozialem Gewissen" und hob die möglichen Synergieeffekte durch die Nachbarschaft zum Seniorenheim "Haus am Valentinspark" hervor oder auch zur Tagesstätte für Senioren der Caritas. Tatsächlich profitieren die neuen Bewohner der Feldstraße von ihren Nachbarn. Das Seniorenheim hat das Catering übernommen.

Die Frau ist mittlerweile vom Edeka zurück. Hat sie es gleich gefunden? "Ja, ja, ich habe mich nur einmal verlaufen", erzählt sie lachend und zeigt auf ihre Einkaufstasche. "Einen schönen Tag noch", ruft sie hinterher. Ebenfalls.

© SZ vom 06.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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