Unterhaching:Pinkelnde Flaschen und andere Versuche

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Maren Heinzerling und Josef Herrmann demonstrieren eines ihrer Experimente. Bei Schülern ernten sie damit regelmäßig großes Staunen. (Foto: Claus Schunk)

Vor elf Jahren hat Maren Heinzerling das Projekt "Zauberhafte Physik" initiiert. Schulpaten experimentieren mit Grundschülern. Doch es fehlen Mitstreiter

Von Cristina Marina, Unterhaching

Eine leere Milchpackung zusammendrücken, einen gewöhnlichen Luftballon in eine noch gewöhnlichere Plastikflasche reintun, zwei Saugglocken auseinanderziehen. Banalitäten? Mitnichten. Die drei, vier einfachen Spiele, hinter denen sich in Wahrheit naturwissenschaftliche Experimente verbergen, können für die berufliche Zukunft der Kinder in Unterhaching und Ottobrunn entscheidende Weichen stellen. Dafür werden nun neue Schulpaten gesucht.

Seit 2013 halten die Ehrenamtlichen, die Josef Herrmann koordiniert und anleitet, an sechs Grundschulen im Landkreis von München den sogenannten Sachunterricht in Physik. Anfangs waren es 15, die meisten davon Rentner, doch es gab darunter auch Jüngere, Studenten der Naturwissenschaften und Lehrer an den Schulen, die freie Stunden zu überbrücken hatten. Einzig im Moment, und das sei ein großes Problem, berichtet Herrmann, seien von den 15 Ehrenamtlichen nur noch zwei übrig; die anderen stiegen im Laufe der fünf Jahre wegen betagten Alters, Krankheit oder schlicht aus zeitlichen Gründen aus.

Doch diese Arbeit ist besonders wichtig, sagen Josef Herrmann und Maren Heinzerling. Herrmann (85) hat als Physiker Flugzeuge entwickelt und bis zu seiner Pensionierung eine hohe Position in einem großen Ottobrunner Unternehmen bekleidet. Heinzerling (79) war Ingenieurin für Maschinenbau - und 1958 die einzige Frau in dem bis heute männerdominierten Studiengang. Da sie vorher ein humanistisches Gymnasium besucht hatte, musste sie sich durch das Studium - vor allem in den ersten zwei Semestern - hart durchboxen. Seitdem ist viel passiert. Heinzerling, die aus Ottobrunn stammt, hat sich neben ihrer Karriere schon immer stark für Mädchenförderung in Naturwissenschaften eingesetzt. Sie hat in München den heutigen "Girls' Day" initiiert - ein Vorhaben, das mittlerweile bundesweit etabliert ist. Für ihr langjähriges Engagement bekam Heinzerling 2009 das Bundesverdienstkreuz verliehen.

Auch das Schulpaten-Projekt hat Heinzerling ins Leben gerufen, doch es geschah diesmal aus Eigennutz, wenn man so sagen darf. Ihre zehnjährige Enkelin wollte "auf ein soziales Gymnasium " gehen, was in der Ingenieur-Familie eine Art Notstand auslöste. Heinzerling hatte die zehn Tage eines bevorstehenden Besuchs zur Verfügung, um die Enkelin umzustimmen. Sie erfand die physikalischen Versuche, die heute die "Paten" in den Schulen durchführen. Die Besonderheit dieser Versuche liegt darin, dass sie "keinerlei teurer Experimentierkästen" bedürfen, sondern vielmehr Alltagsutensilien wie besagte Milchverpackung verwenden. Die Vorteile liegen auf der Hand, sagt Herrmann: Einerseits verfüge jeder über solche Gegenstände, man bräuchte gar nichts Neues dafür erwerben. Andererseits wecke gerade solche "Alltagszauberei" die Neugier der Kinder, rege mehr die eigene Fantasie an. "Und alles darf dabei kaputtgehen", ergänzt Heinzerling. Eine Grundvoraussetzung, damit Forschung gelingen kann.

Der Plan ging auf. Mit Versuchen wie "die pinkelnde Flasche", "drei Jungen im WC", oder die "schwebende Postkarte" ließ sich die Enkelin tatsächlich umstimmen. Heute geht sie auf das Münchener Gymnasium St. Anna, das über beide Ausbildungsrichtungen, eine naturwissenschaftliche ebenso wie eine sprachliche, verfügt. Dieser Erfolg ließ Heinzerling vor nunmehr elf Jahren das Schulpaten-Projekt "Zauberhafte Physik" gründen - in Berlin, wo sie mittlerweile lebt. Josef Herrmann, den sie seit 30 Jahren vom Ottobrunner Tennisverein kennt, setzt es seit fünf Jahren im Hachinger Tal um. "Sepp ist ein toller Pate", sagt Heinzerling. Was in Unterhaching und Ottobrunn gemacht werde, sei das Anspruchsvollste von allem. "Weil es richtig Physik ist". Die Kunst der Schulpaten besteht offenkundig darin, als schwierig eingestufte Inhalte leicht aussehen zu lassen. Die Versuche basieren nur auf Luft und Wasser, doch daraus ergeben sich Effekte, die die Grundschulkinder staunen lassen. Die technikversierten Paten machen diese mit einfachen Begriffen verständlich. "Dafür, dass du schon so alt bist, bist du ganz schön schlau", habe ein Knirps zu einem der Paten gesagt. "In der Grundschule sind die Kinder so dankbar", erzählt Heinzerling. Gerade Flüchtlingskinder würden sich häufig bei ihr mit Handschlag bedanken. "Alle Kinder wollen sich damit beschäftigen", sagt Herrmann. Und die Grundschule sei für die spätere Entwicklung entscheidend, betont Heinzerling. Denn Mädchen und Jungs tickten in diesem Alter vom Interesse her gleich. Herrmann sagt, die Mädchen seien vom Verständnis her schneller; "aber auch zurückhaltender", ergänzt Heinzerling. Doch in der Pubertät entwickelten sich die Interessen beider Geschlechter auseinander; wenn die Frühförderung also nicht gestimmt hat, trügen die Schulen an der unterschiedlichen Entwicklung der Kinder ein Stück weit auch "selbst Schuld".

Derzeit betreuen die Paten im Hachinger Tal etwa ein bis zwei Mal wöchentlich für jeweils zwei Unterrichtsstunden drei Grundschulen in Ottobrunn - an der Friedensstraße, der Lenbachallee und der Albert-Schweitzer-Straße, zwei weitere in Unterhaching - an der Jahnstraße und am Sportpark, und die Grundschule der Europaschule an der Putzbrunner Straße in München. Fünf Paten gehen gemeinsam in den Unterricht, jeder hat sich um einen Tisch mit etwa fünf Kindern zu kümmern. Jeder neue Pate würde mit offenen Armen empfangen, sagt Herrmann. Denn die jungen Schüler bräuchten Anerkennung, Ermutigung - und vor allem Vorbilder.

Herrmann muss es am besten wissen. Er selbst sei mit zehn Jahren "von Zuhause weggekommen", wie er es ausdrückt, "und seitdem selbständig" gewesen. Sein Vater war im Krieg gefallen, die Mutter hatte ihn aufs Gymnasium nach Eichstätt geschickt. Er habe viel auf dem Bauernhof gearbeitet, immer mehrere Arbeitgeber gehabt. So habe er in der Oberschule "Rekord-Fehlzeiten" angehäuft, seine Hausaufgaben oft im Zug gemacht, trotzdem ein gutes Abitur hinbekommen. Doch ursprünglich wollte Herrmann nach der sechsten Klasse aufhören und Pilot werden; er bewarb sich, doch die Amerikaner ließen so kurz nach dem Krieg noch keine Deutsche für die Pilotenausbildung zu. Da habe sein "hervorragender" Physiklehrer zu ihm gesagt: "Mensch, du bist ja dumm! Du bist so talentiert, warum studierst du nicht Physik?" So sei er selbst damals zur Physik gekommen.

© SZ vom 27.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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