Unterhaching:Mehr als eine Gemüsekiste

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Im Feinkostladen Käse & Co stehen für Mitglieder des Kartoffelkombinats die Gemüsekisten zum Abholen bereit. Rechts Organisatorin Evi Karbaumer. (Foto: Angelika Bardehle)

In Unterhaching gibt es eine Zweigstelle des Kartoffelkombinats. Wer Mitglied der Genossenschaft wird, erhält nicht nur frische, ökologische Erzeugnisse aus der Region, er unterstützt auch die Idee einer solidarischen Landwirtschaft. Doch die Zukunft des Projekts ist ungewiss

Von Michael Morosow, Unterhaching

Der Terminus "Kombinat" riecht eigentlich nach russischer Planwirtschaft, nach Kolchose, nach volkseigenen Betrieben in der gewesenen DDR. In Unterhaching duftet er an diesem Donnerstag nach Butternut-Kürbissen, Äpfeln, Kartoffeln, Zwiebeln, Pastinaken, Sellerie und Feldsalat - alles frisch geerntet und verstaut in Gemüsekisten, umweht von einem Hauch Revolution gegen den Discounter-Wahnsinn. 14 Kisten sind es, die Franz Wolf, ehemaliger Grünen-Gemeinderat und Inhaber des Feinkostladens "Käse&Co" an der Hauptstraße 65, an jedem Donnerstagmittag geliefert bekommt und bis am Abend an den Mann gebracht hat. 14 Kisten für 14 Mitglieder des Kartoffelkombinats, einer Genossenschaft mit Sitz in München und Anbauflächen in Schönbrunn bei Dachau. In der Gärtnerei des Franziskuswerks in Schönbrunn arbeiten auch viele Menschen mit Behinderungen.

Wolfs Laden ist seit Frühjahr 2015 eine Unterhachinger Zweigniederlassung des Kartoffelkombinats, das inzwischen 750 Haushalte in München und der Region zu ihren Kunden zählt. Von Donnerstagmittag an Ziel der Genossenschaft ist es, eine sogenannte solidarische Landwirtschaft aufzubauen und die Mitglieder mit eigenem regionalen, saisonalen und ökologisch angebautem Gemüse zu versorgen. Mit anderen Worten: Einen Gegenpol zu schaffen zur leidigen Praxis, mit Giftstoffen belastetes Obst und Gemüse per Lastwagen quer durch Europa zu transportieren, unabhängig von Saison und Region. Auf Erdbeeren im Winter müssen die Genossenschaftsmitglieder also verzichten, und das machen sie gerne.

Grünen-Gemeinderätin Evi Karbaumer hatte für diese Idee zuerst im eigenen Lager geworben. "Das täte gut zu uns passen", habe sie gesagt, erinnert sich ihre Fraktionskollegin Claudia Köhler. Und als im März 2015 Simon Scholl, einer der beiden Gründer und Geschäftsführer des Kartoffelkombinats, bei einer öffentlichen Ortsversammlung der Grünen die Ziele und Abläufe in der Genossenschaft vorstellte, gab es für viele keinen Zweifel mehr am Sinn des alternativen Projektes.

Wer Mitglied werden will, muss einmalig 150 Euro ins Kartoffelkombinat einzahlen. Dafür darf er fortan mitbestimmen: was angebaut wird, welche Investitionen getätigt werden, und sogar wer der Genossenschaft vorsteht. Dazu kommt ein Monatsbeitrag in Höhe von 68 Euro für die wöchentliche Gemüsekiste. Wobei sich das Kartoffelkombinat bei weitem nicht alleine über die Gemüsekisten definiert. Es bietet zum Beispiel seinen Genossen an, selbst nach Schönbrunn zu kommen, um beim Anpflanzen, Unkraut jäten und Kisten packen zu helfen. Zudem stehen Vorträge und Feste auf dem Jahresplan, wurde ein eigenes Internet-Forum zum Austausch eingerichtet und wird wöchentlich ein Flugblatt, der "Kartoffeldruck", herausgegeben, dessen Titelseite tatsächlich im Kartoffeldruck-Verfahren entsteht. Das Faltblatt ist fester Bestandteil der Gemüsekiste. Darin werden unter anderem Veranstaltungen angekündigt, wie etwa die monatliche Kartoffelakademie (jeweils am zweiten Freitag im Monat), Rezeptvorschläge veröffentlicht, passend zum jeweiligen Inhalt der Gemüsekisten, und Nachrichten verbreitet, quasi frisch vom Feld: "Gurken brauchen Sonne, Sonne gab es aber letzte Woche kaum, deswegen gibt's diese Woche nur eine Minigurke statt zwei oder eine Schlangengurke", war etwa in der Juli-Ausgabe 2015 zu lesen.

Das Kartoffelkombinat will mehr sein als nur eine Ökokiste, es will ihren Teil zu einer solidarischen Landwirtschaft beitragen. "Über die Mitgliedsbeiträge finanzieren wir, die Mitglieder der Genossenschaft, unsere Landwirtschaft, unsere eigene Logistik, faire Löhne für unsere Gärtner sowie für die freien und festangestellten Mitarbeiter und den Aufbau unserer eigenen unabhängigen, gemeinschaftlich getragenen Versorgungsstruktur", erklärt Simon Scholl. Er ist neben Daniel Überall Gründer und Geschäftsführer des Kartoffelkombinats. "Dem Gemüse selbst geben wir keinen Preis mehr, wodurch es eine völlig neue Wertschätzung erfährt." Zudem nehme man dadurch dem Vermarktungsdruck den Wind aus den Segeln. "Man kann auch Brot bestellen, superlecker", sagt Claudia Köhler. Eine Bienenaufzucht sei im Aufbau begriffen.

Doch hinter allen Expansionsplänen des Kartoffelkombinats steht momentan ein großes Fragezeichen: Das Franziskuswerk befindet sich derzeit in einer Übergangsphase hin zu einem inklusiven Dorf, ganz Schönbrunn soll neu gestaltet werden, deswegen läuft bereits ein Architektenwettbewerb. Die im September begonnen Pachtgespräche sind nun vorerst einmal gestoppt worden. Wie es weitergeht, hängt wohl vom Ausgang des Architektenwettbewerbs ab. Aus diesem Grund, aber auch weil das Kartoffelkombinat weitere Ausbaustufen angehen will, halten Scholl und Überall Ausschau nach einem Gemüseanbaubetrieb oder einem landwirtschaftlichen Betrieb, den sie übernehmen können.

Wer Interesse an einem Beitritt zur Genossenschaft hat, kann sich an Evi Karbaumer, Telefon: 089/618576, wenden.

© SZ vom 28.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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