Unterhaching:Heimat für ein paar Groschen

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Werner Reindl (links) führt durch die Kriegersiedlung und ruft mit seinen Erzählungen bei den Zuhörern Erinnerungen wach. (Foto: Claus Schunk)

Unterhaching anno dazumal: Ortshistoriker Werner Reindl erzählt bei einer Führung Anekdoten rund um den Pittingerplatz. In der Siedlung für Kriegsheimkehrer entwickelte sich einst ein buntes Leben

Von Cathrin Schmiegel, Unterhaching

Ein paar Buchen säumen die sattgrüne Wiese auf dem Pittingerplatz in Unterhaching. Nur eine Säule aus rotem Ziegelstein verrät noch etwas über die schillernde Geschichte dieses Ortes. Vier Informationstafeln zeigen ihren Betrachtern den Weg in die Vergangenheit der Reihenhäuser, die die Wiese in U-Form umgeben. Eine Tafel verrät etwas über den Namensgeber des Platzes, den Arzt Otto Pittinger. Viel mehr zum Thema weiß Werner Reindl, der Heimatforscher der Gemeinde. Bei einem historischen Spaziergang durch die Kriegersiedlung teilte er einer Gruppe von Interessierten sein Wissen mit und ließ die Geschichte ihrer Bewohner lebendig werden.

Die Sonne wärmte den Teilnehmern den Rücken, mehrere Dutzende hatten sich zusammengefunden. Weit mussten sie an diesem Tag nicht gehen, es genügte ein Rundgang um den Platz, damit Reindl seine Geschichten erzählen konnte. Noch auf dem Rasen stehend trug der Historiker die kurze Biografie von Otto Pittinger vor. Den Arzt, sagte er, habe der Zufall nach Unterhaching geführt. In Regensburg hatte er 1910 das erste Säuglingsheim eröffnet, im ersten Weltkrieg diente er als Stabsarzt bei der 6. Bayerischen Reserve-Division.

Mit dem Krieg endete Pittingers Fürsorge für die Soldaten nicht, im Gegenteil. Auf Anregung des Innenministeriums hin kümmerte sich der Arzt um wohnungslose Kriegsheimkehrer: Die Kriegersiedlung um den Pittingerplatz, - der 1933 übrigens plötzlich Adolf-Hitler-Platz hieß, - entstand in den Zwanzigerjahren. Eine solche Siedlung, verriet Reindl, war nicht weiter unüblich, auch in Berlin und München gab es ähnliche Projekte. "Die Kriegersiedlung in Unterhaching aber war die erste mit Eigentumshäusern", sagte Reindl. Soldaten, die noch ein paar Groschen übrig hatten, konnten ihr eigene Bleibe erwerben. Oft jahrzehntelang haben sie die Häuser aus Kohlenschlacke abbezahlt. Viele aber konnten sich das überhaupt nicht leisten, nur wenige der geplanten Bauten wurden realisiert.

In den Gebäuden, an denen heute Rosenranken und Efeu emporklettern, wohnten die unterschiedlichsten Menschen. Zu jeder Hausnummer hat Reindl etwas in Erfahrung gebracht. "Eigentlich", sagt der Heimatforscher, "waren die Häuser am Pittingerplatz nicht als Geschäftsräume konzipiert." Die Not nach Kriegsende aber machte die Menschen erfinderisch: In der Hausnummer 9 fand sich ein Milchladen. "Es war das üblichste Getränk neben Bier", sagte Reindl, "ein bis zwei Liter am Tag trank man." Während Reindl so erzählte, saß auf der Veranda vom Pittingerplatz 8 ein kleines Mädchen und lauschte mit großen Augen. Die Eltern kamen aus dem verglasten Wintergarten, als sie die Menschentraube bemerkten. Damals, das weiß die junge Familie dank Reindl jetzt, beherbergte ihr Zuhause einen Elektroladen. Nebenan führte Johann Darchinger ein Gemüsegeschäft. Und Pfarrer Erhard wohnte die Straße runter in Haus eins.

Am berühmtesten war jedoch der Mann, der kurze Zeit mit seiner Familie in dem Haus wohnte, an dessen Gartenzaun wilde Erdbeeren wachsen: Felix Schlag entwickelte das Motiv für die amerikanische Fünf-Cent-Münze, die bis heute Thomas Jeffersons Konterfei ziert. Schlag lebte dort nicht lange, er emigrierte in die USA. Seine Frau, sagte Reindl, hat er mitsamt den Kindern sitzen lassen.

Der Rundgang führte die Gruppe gegen Ende dann an ein ungewöhnlichen Ort. Im Haus Nummer 19 war das einzige Plumpsklo untergebracht. Es stank, sagte Reindl unter kollektivem Gelächter, schon aus dem Schlüsselloch. Drei Häuser weiter konnten sich die Menschen seriösen Dingen widmen. In dem alten Schreibwarengeschäft kauften alle Kinder von 1950 an für die Schule ein. Auch Hans-Peter Car erinnert sich noch gut an diesen Ort. Sein Bruder habe damals ziemlichen Ärger wegen eines Einkaufs bekommen. "Im Laden hat er sich Silvesterkracher besorgt", sagte Car und grinste schelmisch. In dem Laden, das wisse er noch sehr genau, habe es neben Schreibmaterialien nämlich auch andere schöne Dinge gegeben. Es dauerte nicht lange, da schaltete sich ein anderer ein, der seit seiner Kindheit in einem der Häuser lebt, um seine Geschichte zu erzählen. Und so unterhielten sich die Teilnehmer noch lange mit Reindl über ihre Erinnerungen an diesen Platz, als seine Führung längst vorbei war.

© SZ vom 16.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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