Unterhaching:Entwaffnend mit kurzen Beinen

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Constanze Lindner zeigt in ihrem Programm "Jetzt erst mal für immer" starkes Figurenkabarett und gräbt das Unterhachinger Publikum mit energiegeladenen Charme-Offensiven an

Von Udo Watter, Unterhaching

Ja, sie kann schon recht herzig sein. Mit großen unschuldige Augen in die Menge blicken und in ihrem münchnerisch-mädchenhaften Timbre flöten: "Verstehen Sie mich nicht falsch. Meine Mutter hat während der Schwangerschaft nicht geraucht...nein, nein...nur gesoffen." Das mag jetzt nicht die Form von Humor sein, welche den Intellekt auf höchstem Niveau kitzelt, aber Constanze Lindner hat einfach die Gabe, Pointen so zu setzen, dass sie dafür nicht unbedingt raffiniert gedrechselte Wortspiele oder maliziöse Bonmots braucht.

"Lassen Sie sich nicht von meiner Niedlichkeit täuschen", sagt die Kabarettistin, ziemlich am Anfang des Abends in Unterhaching, wo sie ihr aktuelles Programm "Jetzt erst mal für immer", vorstellte. Auf der anderen Seite ist die proaktive Herzigkeit - bevor es so richtig los geht, rennt Lindner erst mal im Saal herum, busselt und umarmt zahlreiche Zuschauer - Teil des Programms. Sie selber sieht sich als harmoniesüchtige Komikerin ("Comedian Harmonist"), die die Besucher im Kubiz sogar zu Liebesbekundungen gegenüber ihren jeweiligen Nachbarn animiert. Ihre Flirts mit ausgewählten Männern im Publikum ziehen sich ebenfalls als Leitmotiv durch den Abend, und all diese interaktiven Aktionen könnten in die Hose gehen, wäre die 43-Jährige, die 2016 den Bayerischen Kabarettpreis in der Kategorie "Senkrechtstarter" erhielt, nicht so ein energiegeladener Charmebolzen. Vor allem aber kann sie auf ihre exzellenten schauspielerischen Fähigkeiten bauen, auf ihre bezwingende Verwandlungskunst - ob sie nun ihre Bühnen-Alter-Ego gibt, die rassige Russin Victoria, die grummelnde Oma mit grauer Perücke oder die super liebe und super liebesbedürftige Cordula Brödke mit künstlichen Zähnen, grüner Mütze, großer Brille und suboptimalem Sexappeal. Dann gibt es noch eine selbstbewusste Immobilienmaklerin und eine fette Fee - "mit Drei-Wünsche-Staatsexamen, zuständig für den Bezirk Oberbayern" - die bei der Lindner Constanze zu Hause wohnt, weil die sich nach zwei versaubeutelten Wünschen nicht für einen dritten entscheiden kann. Das ist starkes Figurenkabarett, die gebürtige Münchnerin, die seit April 2016 die BR-Fernsehserie "Vereinsheim Schwabing" moderiert, ist in punkto Mimik und Gestik beeindruckend präzise, schafft bei ihren Tanzeinlagen Momente von berührend unbeholfener Anmut und singt auch noch passabel.

Im Vordergrund steht hier, jenseits vom politischen Kabarett, die komische Schilderung von Konflikten mit der eigenen Umwelt. Auffällig ist: So richtig bösartig wird's selten. Auch wenn die mit "Schwiegertochterintoleranz" gesegnete Oma über ebendiese (Gerlinde) lästert, wenn die mit zu großer Pelzmütze bewehrte Victoria gewisse Vulgäre-Russinnen-Klischees bestätigt oder die Fee, die früher Zahnfee war, über die Vorzüge von Mahrzahn gegenüber dem Wohlstandsraum München spricht ("Da gibt es noch a g'scheite Unterschicht") - hier kann sich der Rezipient nicht mit grimmer Wollust über Dummheit und Schlechtigkeit der Gesellschaft amüsieren. Ihre Figuren sind eher liebenswert-skurrile Freaks, teils mit überbordendem Charisma, jede auf ihre Art von großer Sehnsucht getrieben. Der Star ist die hypercoole Cordula, die Lindner mit einer Goofy-haft grazilen Körpersprache spielt und ihr eine unwiderstehlich abturnende Stimme verleiht. Wenn sie vom "Taifun der Liebe" singt, ihre leidlich versierten Zauberstücke vollführt oder sich selbst lobt ("Ich bin echt der Brüller. Ich bin eine Comedy-Kanone"), ist das hinreißend. Generell hat Lindner auch keine Scheu vor Klamauk: "Was macht man mit einem Hund ohne Beine?" - "Um die Häuser ziehen". Zu Ehren kommt überdies die klassische Englisch-Übersetzungs-Verballhornung: "Ich bin sehr erfreut, euch zu sehen - I am very afraid to see you." Die verschiedenen Figuren sind durch die Handlungsstränge lose miteinander verknüpft, ein stetes Motiv ist die Fahndung nach dem richtigen dritten Wunsch, den die Fee erfüllen kann. Auf der Suche nach Anregungen in Unterhaching hat Lindner - deren Körpergröße sie nicht gerade zur Rebound-Königin beim Basketball prädestiniert - unter anderem den Vorschlag erhalten: "Längere Beine". Lindner tat so, als sei sie not amused. "Längere Beine. Unterhaching - geht's noch?" Ernsthaft böse war sie freilich nicht. Am Ende versprach sie, wiederzukommen, wünschte sich, dass alle Anwesenden später noch Liebe machen sollten und bot an, nach der Vorstellung für weitere Umarmungen zur Verfügung zu stehen.

© SZ vom 13.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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