Unterföhring:Wenn die Nacht Angst vor der Dunkelheit bekommt

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Bisher hat sich Zuheir Darwish vornehmlich als bildender Künstler entfaltet. Seit einiger Zeit steht das Schreiben im Vordergrund. (Foto: Robert Haas)

Der in Unterföhring lebende Maler Zuheir Darwish schreibt jetzt auch - er hat einen Bildband mit Gedichten veröffentlicht

Von Udo Watter, Unterföhring

Der Schaffensrausch gehört zu den großen Mysterien des Künstlerlebens. Ob nun Vincent von Gogh in 70 Tagen 80 Gemälde und 60 Zeichnungen erstellt oder Jack Kerouac in drei schlaflosen Wochen sein Buch "On the Road" schreibt: Aus welchen Tiefenschichten der Seele, aus welchen verborgenen Hirnkammern sich die plötzliche, omnipotente Inspiration Bahn bricht, das lässt sich schwer sagen. Und irgendwann verschwindet sie wieder, scheinbar willkürlich, und dann droht postkreative Tristesse.

Zuheir Darwish kennt die Schübe schöpferischer Energie nur zu gut, aber seit vergangenem Herbst malt der 41-Jährige nicht mehr. Der in Unterföhring lebende Künstler, der mehr als 1000 Bilder geschaffen hat und mit seinen Werken respektive dem Verein "Baum der Hoffnung" unter anderem Flüchtlinge in den nordirakischen Kurdenregionen unterstützt, leidet freilich deshalb nicht an gestalterischem Beschäftigungsmangel: Darwish schreibt jetzt. Zum einen an seiner persönlichen Geschichte - der 1976 im syrischen Qamishlo geborene Kurde floh nach schlimmen Erfahrungen als Staatenloser über den Libanon und die Ukraine nach Deutschland, wo er zehn Jahre warten musste, bis er als Flüchtling anerkannt wurde. Er gründete eine Familie, lebte mit dieser in Sammelunterkünften, ehe er 2011 seine jetzige zweite Frau kennen lernte.

Zum anderen verfasst er Gedichte: Worte, Sprachbilder, Metaphern, Stimmungen, die ihn schon lange beschäftigen und von denen jetzt einige den Weg an die Öffentlichkeit gefunden haben. Vergangene Woche ist das anspruchsvoll gestaltete Buch "Bilder und Gedichte - Baum der Hoffnung" von Zuheir Darwish erschienen. Seine Frau Susanne Greiner, mit der er seit 2013 in Unterföhring lebt, hat dabei seine inneren poetischen Bilderwelten überarbeitet und in Form gebracht. Darwish schreibt zwar auf Deutsch, aber ohne grammatikalische Genauigkeit, und sein Sprachempfinden schöpft er nicht nur aus dem Kurdischen oder Deutschen, sondern auch aus dem Arabischen und Russischen.

Oft ist ein schwermütiger Ton, der durch die Zeilen zieht, wobei auch immer wieder Tröstliches aufscheint. "Kurdistan im Herzen" beschreibt etwa die innere Zerrissenheit eines Heimatlosen, der das Elend seines Volkes beklagt: "Jeder Windstoß heißt Flucht, jeder Regentropfen Massaker. Und du schreibst immer noch das Gleiche: Kurdistan oder Tod! Aber keins von beiden ist bisher geschehen." Später jedoch ändert sich die Tonlage: "Frei bin ich und ich brauche kein Land. Ich gehöre in die Berge zu den Bäumen." Die Kunst - sei es Malerei oder Literatur - ist für Darwish auch immer ein Mittel, die drohende Verzweiflung zu bekämpfen. "Ich muss mich beschützen, damit die Hoffnung bei mir bleibt", sagt er. "Es geht darum, dass ich mich nicht verliere. Ich habe viel Wüste erlebt." Darwishs Lebensthemen sind Flucht und Heimatlosigkeit, Angst, Trauer und Tod. Aber obgleich in seinen Gedichten die Nacht mitunter "Angst vor der Dunkelheit" bekommt und die lyrische Stimme konstatiert "Meine Mutter hat mir das Lachen beigebracht, obwohl ich aus einer Heimat stamme, in der nur das Weinen erlaubt ist", verfällt Darwish nicht in endlose Klagestimmung. "Die Wurzel und ich, laufen durch den Friedhof, besuchen jeden in seinem Grab. Wir verstecken uns im Regentropfen, fließen durch die Erde und besuchen jeden Sarg. Wir geben ihnen Wärme und Hoffnung und lassen sie nicht allein." Hoffnung, Sehnsucht, Friede, auch das sind seine Leitmotive.

2015 hat er den Flüchtlingshilfsverein "Baum der Hoffnung" gegründet und der Baum an sich spielt in seinen poetischen Träumen ebenfalls eine wichtige Rolle: "Meinen Atem wickelst du um deine Blätter und tauchst sie in meinen Duft. In deinem Schatten streut der Wind nur Liebe und Freude." Ein Gedicht heißt "Mem u Zin" nach dem tragischen Liebespaar im gleichnamigen kurdischen Nationalepos, das erst im Tod zusammenkommt. Im Buch ist auf der benachbarten Seite das Bild "Mem u Zin" abgebildet, das nicht zuletzt den Opfern des Anschlags am Münchner OEZ gewidmet ist: ein eigenwillig schreiender Mix aus Farben und fließenden Formen. Überhaupt korrespondieren im Buch Gedichte und Gemälde optisch ansprechend, bilden eine ästhetisch wie inhaltlich stimmige Harmonie. Ganz billig ist der hochwertig aufgemachte Bildband, der in einer 250er-Auflage erschienen ist, allerdings nicht: wer ihn erwerben will, sollte 50 Euro aufbringen - freilich geht das Geld komplett an den Verein "Baum für Hoffnung", der damit Flüchtlingskinder im Nahen Osten unterstützt. Es ist quasi eine Spende, die den Erwerb eines inspirierenden Buches einschließt. Für Darwish, der ein Atelier im Unterföhringer Zindlerhaus hat und schon etliche Ausstellungen im Raum München hatte, ist es wichtig, mit seinen schöpferischen Gaben anderen zu helfen. "Es gibt so viel Hass im Orient. Mein Ziel ist es, den Kindern, die dort aufwachsen, so viel Liebe wie möglich zu bringen." Und malen wird er demnächst sicher auch wieder.

Weitere Infos gibt es unter www.baumderhoffnung.com. Anfragen zum Bucherwerb gehen an info@baumderhoffnung.com

© SZ vom 31.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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