Unterföhring:Huckepack durch den Pflanzensud

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Keine Reisbauern, sondern eine Schlange. Das Publikum tat sich nicht immer leicht damit, die Performance richtig zu deuten. (Foto: Robert Haas)

Die Premiere des Tanztheaters "Flower of life" begeistert die Zuschauer, irritiert viele aber auch und lässt zunächst einige Fragen offen. Choreograf Johannes Härtl erklärt sich daher anschließend dem Publikum

Von Franziska Gerlach, Unterföhring

Es geht um die Natur, um die Hingabe an ihre kosmische Kraft. Ja, vielleicht wollen die Tänzer auf der Bühne sogar deren Anbetung als Quell des Lebens ausdrücken. Und wie sie bei der Premiere von "Flower of life" gerade ihre Glieder ineinander verkeilen, sich Huckepack nehmen oder auf die Schultern des anderen klettern, da spürt der Zuschauer auf seinem Stuhl im Bürgerhaus die mal eruptive, mal besänftigende Botschaft ihrer Bewegungen doch sehr deutlich. Aber sollte das eben einen Schamanen darstellen? Welcher Sprache sind die Wortfetzen entnommen, die eine Frau ins Publikum singt? Und warum gibt es diesmal überhaupt Live-Musik zum Tanz? Fragen ohne Ende.

Gut also, dass der Münchner Choreograf Johannes Härtl, der im Unterföhringer Bürgerhaus schon mehrere Produktionen umgesetzt hat, am Freitagabend im Anschluss an die Performance noch zum Publikumsgespräch lädt. Sonst säße man vermutlich da, und würde rätseln, was er denn nun mit dieser Inszenierung habe sagen wollen. Zeitgenössische Inszenierungen sind bekannt dafür, die Handlung hinter expressive Körperlichkeiten zurücktreten zu lassen. Und wenn in dem großen Ganzen auch immer wieder narrative Elemente aufblitzten: Die vier Tänzer, die mit gebeugten Rücken über die Bühne taumelten, sollten nicht wie irrtümlich angenommen Reisbauern auf dem Feld darstellen. Sondern eine riesige Schlange. Ein Boa.

Das hat Choreograf Härtl erzählt, und auch, wie das Tanzkonzert mit dem deutsch-amerikanisch-kanadischen Quintett "Tribe of Love" überhaupt zustande kam. Eines der Mitglieder, Jan Paul Werge, hatte bereits früher für Härtl komponiert. Und eines Abends in diesem Sommer, als man in der Küche beisammen saß, da gab Werge dem Münchner eine CD: "Hannes, hör mal rein, was wir in Amerika gemacht haben", habe Werge gesagt. Johannes Härtl tat dann, wie ihm geheißen. Und als er sich die von den traditionellen Liedern des Amazonas inspirierte Musik anhörte, diesen mystischen Mix aus mehrstimmigen Gesängen, die von Trommeln, Shakapas und der Shrutibox begleitet werden - Da hatte er gleich Bilder im Kopf, wie sich die Musik in Bewegungen übersetzen lässt.

Den Unterföhringern gefiel offenbar, wie sich die zwölf Tänzer an die Musik verloren, wie sie dem Diktat der künstlichen Grazie beinahe intuitiv zu entsagen schienen. Sie applaudierten lang, sie applaudierten laut. Sechs Wochen hatte die Kompanie geprobt, und wenn die Tänzer in den legeren Hemden und Hosen den Saal auch mit einer geradezu archaischen Sinnlichkeit anzufüllen wussten, so muss doch klar sein, dass eine Choreografie kein Produkt des Zufalls ist. Vereinzelt gab es sogar Stimmen, die sich mehr Konturen gewünscht hätten. Allzu akrobatische Sequenzen aber hätten wohl kaum gepasst zu einer Musik, die auf den als heilend geltenden Gesängen einer Ayahuasca-Zeremonie basiert, wie sie in Peru abgehalten werden. "Das sind keine Melodien, die man sich selber ausdenkt. Das sind Melodien, die in einer Zeremonie zu einem kommen, und die die charakteristischen Heilungsessenzen der Pflanze enthalten", erklärte Susanna Raeven, die eben noch gesungen hatte, auf Spanisch, in der indigenen Sprache Quechua und in einer Fantasiesprache. Aha. Ayahuasca, so ergibt schließlich eine Internetsuche, ist ein Pflanzensud, durch dessen Genuss sich trance-ähnliche Zustände erreichen lassen. "Für mich war das alles neu", sagt Härtl. In der Arbeit sei aber "sehr viel Intuitives" passiert, die Tänzer haben etwa die Kreaturen - Schlange, Delfin, Baum - zunächst innerlich erschaffen. Das Gefühl regiert über die Ratio, der Mensch besinnt sich auf die Stärke von Mutter Erde, und begibt sich dabei im besten Fall noch auf eine Reise zu sich selbst. Solche Themen verhandelt die Kunst natürlich gerne in diesen hektischen Zeiten. Warum auch nicht. Gerade im Tanz ist das doch viel inspirierender als zum 345. Mal "Nussknacker".

© SZ vom 04.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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