Unterföhring:Die Wurzeln des Unsichtbaren

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Der renommierte Choreograf und Tänzer Johannes Härtl hat seit 2012 zahlreiche Inszenierungen im Bürgerhaus Unterföhring auf die Bühne gebracht. Hier eine Szene aus "Superheroes". (Foto: Alessandra Schellnegger)

In Johannes Härtls neuen zeitgenössischem Tanztheaterstück "Invisible Lines" geht es um verborgene, tiefe Verbindungen zwischen Menschen, um Isolation und Suche nach Frieden. Die Uraufführung ist im Bürgerhaus Unterföhring

Von Udo Watter, Unterföhring

Ist der Mensch eine Insel, ohne echte Bindungen? Durch welche Schicksalsfäden sind wir miteinander verknüpft? Stirbt jeder für sich allein? Die tragisch umflorte Einsamkeit des Helden (oder Antihelden) - sie ist wohl allenfalls als ästhetischer Zustand erstrebenswert. Denn in der Wirklichkeit ist es das, wovor sich der Mensch, zumal der moderne, am meisten fürchtet: Einsamkeit. Soziale Isolation. Bindungslosigkeit.

Diese Gefühle und ihre stärksten Gegentriebe, die Suche nach Geborgenheit und Liebe, sind immer wiederkehrende Leitmotive in Johannes Härtls sinnlichen Tanzpoesien. Auch in seiner neuesten Produktion für Unterföhring widmet sich der 1977 in Garmisch-Partenkirchen geborene Choreograf und Tänzer um zwischenmenschliche Beziehungen: Es geht um Begegnungen mit der Familie, die erste Liebe, um Wendepunkte im Leben und die Suche nach einem Platz in unserer Gesellschaft.

"Invisible Lines" heißt die Produktion, die Härtl, der seit 2012 als "Artist in residence" am Bürgerhaus Unterföhring ist, kommenden Donnerstag, 16. Februar, als Uraufführung zeigt. Inspiriert hat ihn ein trauriges Ereignis: Der Tod seines Vaters, zu dem er an sich keine tiefe Beziehung mehr hatte, mit dessen Verscheiden aber dennoch etwas Essenzielles verschwand: "Es ist etwas weggebrochen", sagt Härtl, "ich habe gemerkt, es gibt unsichtbare Linien, die zwischen Menschen entstehen." So entsprang die Idee, diese unsichtbaren Verbindungen tänzerisch darzustellen, Bilder zu finden für die Vereinzelung inmitten sozialer Milieus, für die geheimnisvolle Komplexität von Beziehungsgeflechten. Der 39-jährige Härtl, der Co-Direktor der namhaften Tanzschule Iwanson in München ist, arbeitet dabei wieder mit seinem Lieblings-Komponisten Jan Paul Berge zusammen, der mit suggestiven Beats, aber auch melancholischen Soundräumen die komplexen Beziehungsnetze und Konfrontation mit den Zumutungen einer entfremdeten Wirklichkeit untermalt.

Zum genreübergreifenden Dialog werden überdies in Unterföhring experimentelle Videoprojektionen beitragen. Eine optisch spannende Rolle spielt dabei auch das Processing, eine Programmiersprache, die etwa bei Visual Arts angewendet wird und bei der das Projizierte live auf die Tänzer reagiert. "So werden die Invisible Lines sichtbar", sagt Härtl.

Generell werden die Bilder bei Härtl, der Dozent für zeitgenössischen Tanz, Improvisation, Partnering und Floortechnik ist, wieder logisch miteinander verknüpft, ohne dass es ein klares Narrativ auf der Bühne geben wird. Insgesamt sieben Tänzerinnen und Tänzer werden auftreten, und man darf davon ausgehen, dass die Episoden wieder poetische, sinnliche und komische Momente entfalten, die von verschiedenen authentischen Lebenssituationen sprechen. "Meine Stücke sind aus dem Leben gegriffen", erklärt Härtl. Und dabei oft kraftvoll, bildgewaltig, suggestiv und teils von einer schwebenden Leichtigkeit geprägt. In seinen Choreografien mischen sich nicht zuletzt stilistische Eleganz mit Kampfsport-Posen, die Tänzer belauern sich und umhüllen sich gerne, winden und verrenken sich ineinander. Gleichwohl muss aber auch der Körper nicht jede Bewegung auserzählen, er kann andeuten, Figuratives in die nicht sichtbare Imagination entlassen und die Sinne des Betrachters anregen. Obgleich es eine interaktive Performance ist, eine Mehrfachattacke auf die Sinne, so dürfte ein Teil des Vergnügens auch darin stecken, das Offensichtliche zu verweigern. Etwas tänzerisch darzustellen, heißt ja auch, es sanft und allegorisch zu verlebendigen, eine Bewegung in den Raum hinein zu entlassen, eine schwebende Zartheit zu komponieren, die im Idealfall immer frei von Manieriertheit ist. Härtl, der in Unterföhring schon zahlreiche Produktionen gezeigt hat, die dann später auch als Gastspiele im In- und Ausland zu sehen waren, freut sich auf das erneute Heimspiel im Bürgerhaus. "Die Bühne ist ein Traum", schwärmt er. Er will den Zuseher nicht über den Kopf, sondern über das Herz ansprechen - und den an sich schweren Stoff in einen zufriedenen Schwebezustand münden lassen. "Wichtig ist es, Frieden mit sich selber zu schließen."

Die Premiere von "Invisible Lines" ist am Donnerstag, 16. Februar, im Bürgerhaus Unterföhring. Karten gibt es im Vorverkauf über Tel. 089/95 081 506 oder ticket@unterfoehring.de oder www.buergerhaus-unterfoehring.de.

© SZ vom 10.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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