Taufkirchen:Wissen wo man lebt

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Peter Seebauer und Helga Loos sind leidenschaftliche Heimatkundler. Ein Streifzug durch Keltenhaus und Umweltgarten

Von Ulrike Schuster, Taufkirchen

Als sei der Oberstudienrat immer noch im Dienst. Peter Seebauer unterrichtet heute jedoch nicht Chemie und Biologie, sondern die Geschichte der Gemeinde. Mit schwarzer Schirmmütze, randloser Titan-Brille, kariertem Tweed-Jackett und orangenem Seidenhalstuch steht der 73-jährige Heimatkundler - umzingelt von wissbegierigen Rentnern - vor dem Keltenhaus am Köglweg. So viel, so fundiert und detailversessen, wisse keiner über die Taufkirchner Historie zu erzählen, ist Zuhörerin Helga Loos sicher. Dafür hat sie den Experten mit dem Auto aus dem Altenheim geholt. Seebauers Füße wollen nicht mehr so richtig, umso brillanter funktioniert sein Gedächtnis.

Er erzählt von archäologischen Ausgrabungen am Anfang der 90er Jahre, den ersten keltischen Siedlungen und Gräbern aus der Jungsteinzeit, in denen die toten Männer mit dem Kopf nach Norden, die Frauen nach Süden gedreht lagen, alle auf dem Bauch und mit angewinkelten Beinen. Warum das so war, wisse man nicht. Seebauer setzt als mögliche Antwort auf die embryonale Stellung. "Wie man kommt, so geht man", sagt er. Klingt plausibel. Überhaupt scheint der Mann, der sein ganzes Leben in Taufkirchen verbracht hat, noch jeden Bauernhof kennengelernt hat, auf alles eine Antwort zu haben, beziehungsweise zu wissen, warum es keine Antwort gibt. Ob er seinen alten Beruf vermisse? "Nein, ich unterrichte ja nach wie vor Leute, bloß in einem anderen Fach", sagt der Ex-Lehrer.

Mit vollem Körpereinsatz stemmt sich der zierliche Seebauer gegen den enormen Messingschlüssel und öffnet die Tür zum alten Keltenhaus. Es ist ein Nachbau, der die historischen Ausgrabungen aus den Neunzigern dokumentiert. Die Augen seiner elf Zuhörer leuchten, es herrscht kindliche Begeisterung, sie sind sich sicher "unglaublich viel gelernt zu haben", so die ehemalige Krankenschwester Barbara Steinberger. Seebauer sei einfach ein Professor seiner Heimat.

Kräftig drüberstreichen und tief einatmen. Die Gartenfreunde erraten die Kräutersorten im Umweltgarten. (Foto: Claus Schunk)

Nach einer Stunde Seminar braucht der erst einmal eine Pause. Er setzt sich auf die Holzbank vor den Kelten und streckt die Füße, in Tigersocken verpackt, von sich. Die restliche Truppe zieht weiter nach nebenan, zum Umweltgarten, ein "Schaugarten", wie es gleich am Eingang heißt. Auf deutsch, türkisch und englisch steht geschrieben, worum es geht und was nicht geht: "Kräuter und Blumen nicht ausgraben" oder "Abschneiden, Gemüse, Beeren und Früchte nicht ernten". Niemand soll "Mein Name ist Hase - Ich weiß von nichts" behaupten können. "Leider kümmert das aber nicht alle", sagt Helga Loos. Die 76-Jährige, gelernte Meisterin in ländlicher Hauswirtschaft, hält ihre Parzelle aus Duft- und Kräuterpflanzen seit 1997 am Blühen.

Damals beschloss die Gemeinde, dass ein öffentliches Biotop, zum Schauen und Staunen, etwas Grün für die Seele, eine gute Sache gegen die vielen Hochhäuser und den Beton in Taufkirchen sei. "Einzigartig ist diese Oase hier im Umland", sagt Loos. Ein solch bezauberndes Naturerlebnis auf 1100 Quadratmetern, mitten im Ort, sei Luxus, der den Hunger nach Schönem stille. Die Frau mit den stechend blauen Augen und der sportlich-drahtigen Figur streift grazil über den schmalen Erdpfad durch den Garten.

Sie zeigt nach links auf die Rosen, nach rechts auf den Sinnespfad mit seinen verschiedenen Wegabschnitten aus Lehm, Kies, Laub und Korken. "Eigentlich sollten wir Schuhe und Socken ausziehen, das muss man spüren", sagt Loos. Bloß, es regnet und in fahrlässigem Übermut eine Erkältung riskieren, will keiner. Die Jugendsünden haben die Damen und Herren hinter sich gelassen, nicht aber ihren Humor.

Gartenexpertin Loos zeigt auf das gelbe Haus der Wildbienen. "Genau einmal darf das Männchen das Weibchen befruchten bevor es stirbt." Hier werde noch echte Treue gelebt, oder Untreue ganz natürlich verhindert, wie man's nimmt.

Die Geschichte Taufkirchens reicht bis zu den Kelten zurück. Erstmals urkundlich erwähnt wurde der Ort aber erst im 12. Jahrhundert. (Foto: Claus Schunk)

In der letzten von acht Parzellen kommt die Truppe im Looschen Bauerngarten an. Keine Woche in den vergangenen zwei Jahrzehnten, in der die Naturliebhaberin nicht Samen streute, Hecken zurecht stutze, an den Duftrosen roch oder kräftig über den Salbei, den Rosmarin oder ihr Lieblingskraut den Estragon strich, tief einatmete und sicher war: kein Kunstdünger, keine Spritzmittel, alles Mutter Natur, was die Erde hergibt. Loos hat auch gelernt, wer sich als Nachbar im Beet nicht verträgt: der Schnittlauch mit der Petersilie, die Zwiebeln mit den Erbsen, die Kartoffeln mit den Tomaten. "Es ist seltsam, aber meist verhält sich Gemüse der gleichen Familie unfein zueinander", sagt Loos.

Demnächst will die Taufkirchnerin ihr Ehrenamt abgeben, sie sei ja nicht mehr die Jüngste, die Gartenarbeit spüre sie im Rücken und in den Knien. Sich auf das Spazieren durch Wald, Wiesen und Berg zu beschränken, halte sie mit Blick auf den 80. Geburtstag für eine kluge Sache. Aufhören als Naturführerin über Blumen, Gemüse und Kräuter zu erzählen, will Helga Loos aber noch lange nicht. Aus gutem Grund. "Es gibt genug Stadtkinder, die eine Dahlie nicht von einer Distel unterscheiden können."

© SZ vom 24.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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