Taufkirchen:Von der Schönsten zur Schlampe

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Es ist kein Spaß, die schönste Frau der Welt gewesen zu sein: Die Transgender-Ikone Georgette Dee hadert als Helena mit ihrem historischen Ruf. (Foto: Claus Schunk)

Travestie-Ikone Georgette Dee verkörpert in Taufkirchen eindrucksvoll die Ambivalenz der tragisch-unsterblichen Helena

Von Udo Watter, Taufkirchen

Theseus, der antike Superheld. Theseus, der alte Sack. Er nimmt sich, was er will. "Theseus hat sich vorgenommen, nur Kinder von Zeus zu ficken." Die, die das mit Verachtung in der Stimme sagt, ist Helena, Tochter der spartanischen Königin Leda und des Zeus. Er hat sie dann auch genommen, immer wieder. Helena war damals erst neun Jahre alt. Er legte sich auf sie, Nacht für Nacht, und er stank nach Ziegenkäse aus dem Maul. "Seitdem habe ich ein gespaltenes Verhältnis zu Ziegenkäse." Ja, das Lächerliche und das Erhabene, das Komische und das Tragische, es liegt oft so nah beieinander und wenn diese Grenzregionen betreten werden, dann gibt es diese Momente, wenn einem das viel zitierte Lachen im Halse stecken bleibt.

Heute ist Helena gut 3000 Jahre älter und sie steht und torkelt herum auf der Bühne des Kulturzentrums Taufkirchen - ein mondänes Monument des Verfalls, charismatisch und vereinsamt, zart und vulgär. Die Berliner Chansonnière und Travestie-Ikone Georgette Dee verkörpert die einst schönste Frau der Welt, die in Miguel del Arcos Stück "Helena. Plädoyer für eine Schlampe" von ihrem Vater Zeus dazu verdonnert wurde, auf ewig zu verfallen. "Ist hier einer, der gefeit ist gegen den Schiffbruch der Schönheit?", fragt Georgette Dee ins Publikum.

Freilich geht es in dem 2011 in Spanien uraufgeführten Monolog um mehr als um den tragischen Erkenntnisprozess eine Frau, die über Jahrhunderte miterleben muss, wie die eigene Zauberhaftigkeit vergammelt. Es geht auch um die Deutungshoheit über die Geschichte - denn Helena, die große antike Schlampe, die ihren Mann Menelaos für den schönen Paris verließ und so nach Homer den Trojanische Krieg auslöste, will nun ihre Version der Ereignisse erzählen. 1000 griechische Schiffe, die gen Troja segeln, mit Männern an Bord, um einen grausamen Krieg zu führen. "Wirklich nur, wegen mir?" fragt sie. Es ist klar, wie Helena die Lage sieht. Ihre Flucht mit Paris war nur "eine Steilvorlage für Agamemnons Großmachtträume". Er, der Bruder von Menelaos, will Troja erobern. Als Dee ihn in seiner Machtgeilheit nachahmt, ähnelt sie am Ende Gollum aus "Herr der Ringe", der ausruft: "Mein Schatz, mein Schatz." Die Männer sind überhaupt ziemlich erbärmliche Figuren in diesem Stück. Brutale, triebgesteuerte, egomanische Individuen. Eindruckvoll unterstreicht dies Georgette Dee in zwei Rezitativen: Einmal, untermalt von Piafs "Non, je ne regrette rien", beschreibt sie, wie Achill, das Vieh, den jungen trojanischen Königssohn Troilos im Apollo-Tempel vergewaltigt und ihm im Moment des Orgasmus den Kopf abschlägt. Das zweite Mal entwirft sie zu den Klängen von Wagners Walkürenritt eine Leni Riefenstahl artige Kulisse, in der die Kriegsparteien aufeinander losgehen und sich gegenseitig verstümmeln. Bezeichnend ist freilich hier, dass die trojanischen Frauen perfekt gestylt auf der Stadtmauer posieren und dem Gemetzel zusehen. Denn Helena hat durchaus Gefallen an der Verehrung, die ihre Schönheit bewirkt. Sie erzählt, wie sie und ihr Superstar-Gatte Paris sich gegenseitig am Morgen Kritiken vorlesen. Eine Frau mit Schwächen eben - kein Wunder, wird sie doch von Beginn an als Objekt im Stile eines antiken Topmodels benutzt. Nur einmal wird sie zur Akteurin: Sie folgt Paris aus Liebe. Schön ist, wie Dee mit tiefer Stimme und einer zwischen Anmut und Verfall changierenden Körperlichkeit die Ambivalenz dieser Figur darstellt. Auch der Text oszilliert zwischen gewähltem Ausdruck und modernem Tussi-Jargon. Dee, die in wallendem Gewand und stets trinkend über die Bühne wandelt, hat immer wieder Gelegenheit, ironisch-schnoddrige Pointen zu setzen - und ja, mit ihrer Version ist sie überzeugend.

Die zeitlose Frage, aus welchen Gründen Kriege wirklich geführt werden, kann sich am Ende jeder gut selber beantworten. Was trotz epochaler Rufschädigung oder körperlichen Verfalls aber noch wesentlicher für Helena ist: die Liebe kennen gelernt zu haben und sie zu ihrer Qual nie mehr vergessen zu können. In den melancholischen Chansons, die Georgette Dee gegen Ende des Abends berührend singt, schwingt dieses Gefühl mit.

© SZ vom 13.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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