Taufkirchen:Da tanzen die Ohren

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Senta Berger und das Südwestdeutsche Kammerorchester Pforzheim überzeugen in Taufkirchen mit einer musikalisch-lyrische Reise durch "Die Acht Jahreszeiten". Besonders die Tangogedichte und Piazzollas "Cuatro Estaciones Porteñas" bezaubern.

Von Udo Watter, Taufkirchen

Die Landschaft ächzt unter der sengenden Sonne, die Pinie brennt, müde, schleppende Akkorde, der Kuckuck erhebt seine Stimme. Man spürt, es liegt was in der Luft. Und in der Tat: Boreas, der kalte Nordwind verdrängt schon bald den milden Zephyr, der Hirte fürchtet den Sturm. Und schließlich mündet Vivaldis "Sommer" in ein wildes Gewitter, in eine rasende Jagd der Streicher, nur unterbrochen vom virtuosen Wirbel der Sologeige. "Und der Hagel köpft den Weizen und alles andere Getreide" - heißt es in dem Sonett, das Vivaldi dazu geschrieben hat.

Sologeiger Linus Roth und die Mitglieder des Südwestdeutschen Kammerorchesters Pforzheim zeigen in Taufkirchen ihre Klasse. (Foto: Claus Schunk)

Das mitreißende Tempo, die packenden Akzente - auch Senta Berger bewegt, am Rande des Orchesters sitzend, ihren Kopf im Rhythmus mit. Innerlich berührt, aber natürlich in formvollendet-aristokratischer Haltung. "Eines der schönsten musikalischen Gewitter der Musikgeschichte", sagt sie nach der dynamischen Darbietung des Südwestdeutschen Kammerorchesters Pforzheim. Zusammen mit dem Ensemble unter Leitung von Achim Fiedler gestaltete die in Grünwald lebende Wienerin im Taufkirchner Kulturzentrum den Abend "Die Acht Jahreszeiten" - ein Projekt, das die Vertonungen von Vivaldi (Le Quattro Stagioni) und Astor Piazzolla (Cuatro Estaciones Porteñas) mit den passenden Sonetten, Tangogedichten und Erläuterungen zum Leben der Komponisten verband. Ein schönes Konzept, und umso schöner, wenn eine Protagonistin wie Berger die Texte rezitiert. Ihr dunkles, samtenes Timbre und ihre versierte Artikulation schmeicheln wahrscheinlich jeder Sprache, aber gerade die italienischen und spanischen Klangfarben entfalten sich darin besonders gut. Senta Berger, die in den Sechzigern und Siebzigern etliche Filme in Italien gedreht hat, musiziert diese Sprache geradezu in ihrem melodiösen Reichtum - was indes letztlich auch für die dunkel-anrüchige Poesie der Tangogedichte galt und ihre deutschen Erläuterungen.

Sieht ihre Stimme als Instrument: Senta Berger ist als Rezitatorin so charismatisch wie versiert. (Foto: Claus Schunk)

Freilich liegt die Bereicherung des Abends ebenso darin, dass den wohl vertrauten (und oft genug banalisierten) Klangbildern von Vivaldis Werk eine andere, essenziellere Dimension hinzugefügt wird: Die Jahreszeiten bargen früher eben auch echte Gefahr, wie die Sonette andeuten. Der Sommer etwa brachte verheerende Gewitter und Brände mit sich. Und bevor das Orchester im golden illuminierten Bühnenlicht den Herbst spielt, erzählt Berger davon, dass der inzwischen zu Ruhm gekommene Vivaldi im Alter von 50 Jahren eine 16-jährige Sängerin geheiratet hat: "Im Herbst wird die Ernte eingefahren", sagt sie augenzwinkend.

Noch eindrucksvoller ist freilich der zweite Teil des Abends. Sologeiger Linus Roth, der sich bei Vivaldi noch kleine Unsicherheiten geleistet hatte, zeigte bei Piazzolla seine ganze virtuose und interpretatorische Klasse. Auch das Orchester agierte eindrucksvoll, wechselte schön zwischen scharfen Kontrasten, harten Rhythmisierungen, Dissonanzen, perkussiven Elementen, Pizzicati und warmen Klanggemälden. Die ironischen Brechungen - der argentinische Komponist zitiert in seinen fast 250 Jahre später entstandenen Stücken immer wieder Vivaldi - gelingen gut. "Die Musik trifft uns ins Mark. Wir tanzen mit den Ohren" sagt Senta Berger. Besonders bewegend ist der abschließende Winter "Invierno Porteño", in dem sich die schmerzhaft schöne Sehnsucht und Traurigkeit aus der dunklen Vorstadtwelt des Tangos noch mal zauberisch entfaltet.

© SZ vom 04.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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