Tanztheater:Wie am seidenen Faden

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Ohne Hierarchie auf der Bühne: Im Tanztheater "French Kitchen" von Choreograf Johannes Härtl steht das Miteinander der Akteure im Fokus, einen Hauptdarsteller gibt es nicht. (Foto: Florian Peljak)

Der Choreograf Johannes Härtl erlaubt in seinem Stück den Blick in eine Familiengeschichte. "French Kitchen" hat autobiografische Züge - und tut beim Zusehen manchmal weh

Von Sophie Kobel, Unterföhring

Als Kind in einem gastronomischen Betrieb aufzuwachsen, das kann hart sein. So hart, dass es manchmal mehr als 20 Jahre braucht, bis man davon erzählen möchte. Oder, im Fall von Johannes Härtl, es in einem Theaterstück verarbeitet. "French Kitchen" heißt das neueste Werk des Choreografen, es ist ein Tanztheater. Vor Beginn der Aufführung am Donnerstagabend stellt sich Härtl auf die Bühne des Unterföhringer Bürgerhauses. Der 41 Jährige, der selbst in einem familieneigenen Hotel in Garmisch-Partenkirchen groß geworden ist, lächelt sein Publikum an: "Am wichtigsten ist es, nicht zu viel zu denken. Einfach genießen", sagt er und auf der Bühne wird es dunkel.

Die fließenden Bewegungen gleichen mehr Akrobatik als harter Arbeit

Es ertönt ein französisches Chanson. Zwei Frauen in schwingenden grauen Leinenröcken und verwaschenen Blusen sitzen in der Ecke und rauchen. Dann ist ihre Pause scheinbar vorbei, denn sie springen auf und tun so, als wollten sie den Boden wischen, Tabletts tragen und die Fenster putzen. Ihre fließenden Bewegungen allerdings gleichen mehr Akrobatik als harter Arbeit. Sie klettern aufeinander, schwingen sich gegenseitig über die Bühne, oder tanzen nebeneinander, wobei ihre Figuren zwar sehr ähnlich, aber eben nicht synchron sind.

Schon in der ersten Szene merkt man, in diesem Stück geht es um das Miteinander, um gemeinsam arbeitende Menschen und ihren dabei entstehenden Mikrokosmos. Und um die Kontraste, die ein Leben als einfache Arbeitskraft in einem glamourösen Hotel mit sich bringt. Eben diese Gegensätze betont Härtl mit klaren Brüchen zwischen den Szenen, dem Wechsel zwischen kaltem und warmem Licht und der musikalischen Begleitung. So kommt es vor, dass in einer Szene die insgesamt zehn Protagonisten zu Technobeats tanzend den Geburtstag eines Mitarbeiters feiern. Ein paar Sekunden später jedoch teilen sie sich paarweise auf, das Licht wird kühler, die Musik ruhiger und der harte Technobeat von einem sanften Besenspiel auf dem Schlagzeug abgelöst. Die Darsteller tanzen barfuß und leichtfüßig miteinander, wie jede Szene des Stückes wirkt auch diese sehr akrobatisch. Die Paare sind durch unsichtbare Fäden miteinander verbunden, jeweils ein Partner lässt den anderen wie eine Marionette hüpfen.

Konfuse Beziehungen, Abhängigkeiten voneinander und die Angst vor Einsamkeit sind Themen des Stückes, genauso allerdings das humorvolle Spiel zweier Männer mit ihrer noch geheimen Homosexualität und das entspannte Rauchen von Zigaretten in fast jeder Tanzszene. Eine Person auf der Bühne allerdings tanzt nie und spielt wohl trotzdem eine der größten Rollen: Komponist Jan Paul Werge steht während der gesamten Aufführung in der linken hinteren Ecke der Bühne, hat einen mit schwarzen Tüchern abgedeckten Tisch und ein Schlagzeug neben sich. Während die tanzenden Paare sich umgarnen, singt er mit weicher Stimme in ein Megafon. Nicht nur diese, sondern jede einzelne seiner Kreationen ist außergewöhnlich. So spielt er während einer Szene Klavier und Maultrommel, in einer anderen Xylofon und Zither. Der aus Sachsen stammende Musiker arbeitet seit 2012 bei allen Stücken von Härtl mit. "Jan steht seit dem ersten Tag mit uns im Probenraum. Wir tanzen und er komponiert dazu. Viel improvisieren wir dabei zusammen", sagt Härtl.

Eine Szene des Stückes war dem Choreografen dabei besonders wichtig. Darin läuft eine junge Frau freudig auf einen Mann zu, der ihr seine Hand entgegen streckt. Sie möchte danach greifen, doch er zieht den Arm weg und geht ein paar Meter weiter. Das Szenario wiederholt sich minutenlang, als Zuschauer schmerzt es, der Frau bei ihrer vergeblichen Suche nach Geborgenheit zuzusehen. Härtl weiß das. "Ich fordere mein Publikum heraus, es muss sich einbinden - auch wenn es manchmal wehtut", sagt er. "Mit solch einer Szene verbinde ich persönlich die Liebe, die in manchen Familien zwar an sich im Haus ist, aber aufgrund der vielen Arbeit keinen Platz hat", sagt er.

Ob es für ihn an der Zeit gewesen sei, biografisch zu arbeiten? "Ja, das war es. Vor zehn Jahren hätte ich diese Erfahrungen noch nicht mit den Tänzern teilen können", antwortet er und sagt, dass seine Protagonisten ihre Rollen anhand von Erzählungen selbst mitkreieren. Härtl weiß: "Erst die Eigenheiten von Tänzern machen ein Stück spannend. Wenn ich absolute Synchronität sehen möchte, kann ich auch ins russische Ballett gehen."

© SZ vom 29.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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