Szenisches Konzert:Wenn Goebbels swingt

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Aus "Daisy" wurde "Frankie" - die Texte der Bigband-Hits wurden häufig umgedichtet, um etwa den amerikanischen Präsidenten zu verspotten. (Foto: München swingt GbR)

Jazz war in Nazi-Deutschland streng verboten - außer für Auslandspropaganda. Eine groteske, wahre Geschichte in Unterföhring

Deutsche Musiker, die Ende der Dreißiger-, Anfang der Vierzigerjahre für Radioaufnahmen Jazz-Soli trompeteten, und das unter den Augen, ja sogar mit dem offiziellen Segen der Nazi-Elite? Für eine Gruppe ausgewählter Musiker war das über Jahre hinweg Alltag: Vormittags trafen sie sich in einem Berliner Rundfunkstudio, um als "Charlie and his Orchestra" neue Swing-Arrangements für den deutschen Auslandsrundfunk aufzunehmen. Ihr Auftraggeber: Reichspropagandaminister Joseph Goebbels.

"Was für eine groteske Geschichte!", sagt Peter Wortmann mit einem Kopfschütteln. Wahrlich, die Geschichte ist eigentlich so bizarr, dass es verwundert, wie verhältnismäßig wenig Bekanntheit sie bislang erlangt hat. Denn Swing, Jazz und Blues galten in jener Zeit in Deutschland als "Neger-Musik", vom nationalsozialistischen Regime verfemt und streng verboten. Wie es dennoch dazu kam, dass auf Goebbels Befehl hin die besten Jazzer Deutschlands zu einer Band versammelt wurden, erzählen Kulturveranstalter Wortmann und der Musikjournalist Oliver Hochkeppel in einem szenischen Konzert, das an diesem Sonntag im Unterföhringer Bürgerhaus seine Premiere in Profi-Besetzung mit 13 Musikern, Sängern und Schauspielern feiert.

Für das feindliche Ausland, die Briten und Amerikaner vornehmlich, produzierte der Reichsrundfunk ein eigenes Programm, das über Kurzwelle jenseits der Grenzen in englischer Sprache gesendet wurde. Darin ging es vor allem um die positive Darstellung Deutschlands und die Diffamierung der Kriegsgegner - Kriegspropaganda, verpackt in eine möglichst attraktive Hülle. "Wenn Goebbels das mit deutscher Marschmusik untermalt hätte, wäre das sicher nicht so gut angekommen", erklärt Wortmann. Darum entschied sich der Minister für den damals populärsten Musikstil, um Gehör bei der Bevölkerung der feindlichen Nationen zu finden: Swing.

Der Düsseldorfer Saxofonist Lutz Templin erhielt 1939 den Auftrag, eine Band zu bilden. Darin versammelte er die besten Jazzer Deutschlands, darunter den Trompeter Charlie Tabor aus Wien und Jazzdrummer Freddie Brocksieper. Sie spielten beliebte US-amerikanische Hits, freilich mit Texten, die im Sinne des Reichsministers verändert worden waren.

Dass Wortmann die Details dieses "grotesken Kapitels deutscher Rundfunkgeschichte", wie es in der Konzertbeschreibung heißt, so gut erzählen kann, liegt an seiner Bekanntschaft mit einem Zeitzeugen. In den Fünfzigerjahren war Wortmann selbst als Schlagzeuger in München unterwegs und lernte dort Freddie Brocksieper kennen. "Eines nachts nach einem Auftritt um halb vier erzählte er mir von Charlie and his Orchestra", erinnert sich der heute 81-jährige Wortmann. Von da an hörte der junge Musiker und Filmemacher immer wieder von der Geschichte. Erste Versuche, sie zu verfilmen, scheiterten jedoch an mangelndem Interesse. So kam Wortmann schließlich auf die Idee, den Stoff als Konzert zu inszenieren. Er recherchierte und gewann Hochkeppel für die Texte. Bei der Eröffnung des Münchner NS-Dokumentationszentrums zeigte das Ensemble die tragikomische Geschichte 2015 mit dem Jazz-Orchester der Musikhochschule. In Unterföhring zählen unter anderem Schlagzeuger Pete York und Sängerin April Hailer zum Ensemble.

Das szenische Konzert "Charlie and his Orchestra - Swing Heil!" ist am Sonntag, 8. Oktober, von 19 Uhr an im Bürgerhaus Unterföhring zu sehen. Eintrittskarten zum Preis von zwölf bis 20 Euro sind erhältlich unter Telefon 089/95 08 15 06 oder online unter www.buergerhaus-unterfoehring.de.

© SZ vom 06.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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