SZ-Serie: Macht hoch die Tür:Zeitreise auf wenigen Metern

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Die Keferloher Kirche St. Aegidius ist mehr als 800 Jahre alt. Die Sakristei ist seit der Restaurierung im modernen Anbau untergebracht.

Von Cristina Marina, Grasbrunn

Diesen kleinen Raum bekommt kaum jemand zu sehen. Die paar Möbel darin verströmen noch den Duft des frisch bearbeiteten Holzes. Auf dem Schreibtisch an der linken Wand, der von einer Seite bis zur anderen reicht, liegen Bücher, auf deren Buchrücken in goldenen Buchstaben "Mess-Lektionar" zu lesen ist, oder wie auf dem umfangreichen, in schwarzem Leder gebundenen Exemplar - "Messebuch". Zwischen den Büchern ragt ein schmales Kruzifix in die Höhe, von zwei niedrigen weißen Kerzen umrahmt.

So sieht die Sakristei der katholischen Kirche St. Aegidius in Keferloh aus. Eine Sakristei stellt den Nebenraum dar, der ausschließlich Bischöfen, Priestern, Diakonen oder den liturgischen Diensten vorbehalten ist. Dort bereiten sie sich auf den Gottesdienst vor, kleiden sich beispielsweise an; ebenfalls dort bewahren sie auf, was sie für die Liturgie benötigen.

In der Sakristei von St. Aegidius gelten der Wandschrank und die langen Schubladen des Schreibtisches als Aufbewahrungsorte. Beide sind aus hellem Holz gefertigt, die Schranktüren verziert ein ausgeschnittenes "griechisches Kreuz" mit vier gleichen Seiten. Darin verbergen sich weiße Tücher, Alben, wie die Untergewänder der katholischen Geistlichen heißen, Gürtel und Bänder, während im Schrank die prunkvollen Gewänder in den "liturgischen Farben" hängen: Violett, Weiß, Grün oder Rot. Im katholischen Gottesdienst gibt es für die einzelnen Zeiten im Jahr einen Farbkanon. So tragen Bischof, Priester, Diakone, Ministranten an Ostern und Weihnachten weiße Gewänder mit goldenen Ausschmückungen, an Karfreitag oder Kreuzerhöhung rote Gewänder, denn Rot steht für Blut oder den Heiligen Geist; in der Advents- und Fastenzeit violette, und grüne im liturgischen Jahr allgemein.

An einer der strahlend weiß gestrichenen Wände der Sakristei hängt eine gerahmte Urkunde. In lateinischer Sprache bezeugt sie die Wiedereröffnung der Keferloher Kirche vor vier Jahren. Der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, nahm im Jahr 2013 die Altarweihe vor. Die Kirche St. Aegidius feierte da 840-jähriges Bestehen.

Zehn Jahre dauerte der Umbau

Ein starker Kontrast ist das zwischen der neuen Sakristei und der alter Kirche. Ein kurzer Durchgang aus Glas verbindet sie miteinander. Keine fünf Schritte, doch wenn man ihn passiert, wirkt dieser Durchgang wie eine abrupte Reise durch Raum und Zeit.

Denn wo dem Besucher der Sakristei das schwarze schnurlose Telefon auf dem Schreibtisch zur Verfügung stand, findet sich dieser nun in einem ursprünglichen Kirchenraum wieder. Die Kirche St. Aegidius in Keferloh befindet sich seit ihrer Renovierung im "Urzustand" ihrer Entstehung anno 1173. Und wüsste der Besucher nichts darüber, so ist es anzunehmen, dass er trotzdem stehen bliebe.

Zu eindrücklich wirkt der Kirchenraum für sich allein - weder hell noch dunkel, eher wie in ein Zwischenlicht getunkt. Diese "seltene Stimmung", wie Anton Grenzebach sie nennt, ist den oben platzierten Fenstern von kleiner ovaler Form zu verdanken. Auch die Wandmalereien in rostigen Farben seien mit wenig Ausnahme "alle original, wie es vor 844 Jahren war".

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(Foto: Claus Schunk)

Wer von der romanischen Kirche St. Aegidius...

...in die moderne Sakristei gelangen will, der muss eine alte...

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(Foto: Claus Schunk)

...und eine neue Tür...

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(Foto: Claus Schunk)

...passieren.

Anton Grenzebach kennt die Geschichte der Kirche. Als Kirchenpfleger ist der 66-Jährige in der Kirchenverwaltung aktiv. Zugleich ist er Vorstand des Fördervereins der Kirche St. Aegidius in Keferloh. Grenzebach war bereits 2003 als Gründungsmitglied dabei, als der Verein zur Restaurierung der Kirche zusammenfand. Die Bauarbeiten dauerten zehn Jahre und kosteten etwa zwei Millionen Euro, die sich der Förderverein und das Erzbischöfliche Ordinariat München, die Verwaltungsbehörde für München und Freising, untereinander aufteilten.

Eine der größten Herausforderungen war die hohe Feuchtigkeit, die sich im Mauerwerk aufstaute und auch die Wandmalereien allmählich angriff. Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege, das Anfang der 1960er-Jahre die Kirche von den gotischen und barocken Einflüssen "befreien" und reromanisieren wollte, hatte das falsche Material für den Innenputz verwendet. Heute verfügt die Kirche über eine Fußbodenheizung, um der Feuchtigkeit entgegenzuwirken - die Unterhaltungskosten belaufen sich auf die eines Einfamilienhauses.

Die romanische Kirche St. Aegidius. (Foto: Claus Schunk)

Seit der Fertigstellung der Kirche feiert hier die Keferloher Gemeinde vier bis fünf Gottesdienste im Jahr - und etwa doppelt so viel Kulturfeste, Konzerte vor allem, für mehr als 150 Gäste. Die geladenen Musiker erfreuen sich eines besonderen Privilegs: Vor ihrem Auftritt dürfen sie sich in die Sakristei zurückziehen. Dem "normalen Volk" bleibt laut Grenzebach dieser Zugang Zeit ihres Lebens verwehrt.

Doch im Laufe der Jahre kann sich einiges ändern, wie ein Beispiel aus der Vergangenheit beweist. Seit die neue Sakristei als anliegender Neubau hinzukam - "bewusst so", damit Alt und Neu zwar eng beieinander lägen, doch mit klarer Linie getrennt würden, erläutert Grenzebach - steht die alte Sakristei dem Besucher offen.

Der fensterlose Raum, nun mit blauem Licht beleuchtet, befindet sich gleich am Eingang und direkt gegenüber dem Altar. Darin wartet eine Muttergottes-Statue, seit mehr als einem halben Jahrhundert im Besitz der Kirche, auf Betende: Aus der alten Sakristei ist ein Gebetsraum geworden.

© SZ vom 22.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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