Die Datenberge, die Menschen und Maschinen produzieren, wachsen unaufhörlich. Satelliten umkreisen die Erde, sammeln, speichern und versenden Daten. Und wo Menschen gehen und stehen, hinterlassen sie Datenspuren. Es genügt, ein Mobiltelefon zu nutzen oder mit der Kreditkarte zu zahlen. "Absurde Unmengen an Informationen werden so erzeugt", sagt Martin Werner, neu berufener Professor für Big Geospatial Data Management an der Fakultät für Luftfahrt, Raumfahrt und Geodäsie der Technischen Universität München (TU). Diese gewaltigen Datenmengen mit Hilfe von künstlicher Intelligenz beherrschbar und für Mensch und Umwelt nutzbar zu machen, ist Werners Fachgebiet.
Der junge Wissenschaftler ist der erste von insgesamt 30 neuen Professoren, die die Raumfahrtfakultät in den kommenden Jahren auf dem Ludwig-Bölkow-Campus in Taufkirchen und Ottobrunn verstärken werden. Denn die Pläne der bayerischen Landesregierung sind ambitioniert: Die im Sommer 2019 gegründete Fakultät und ihre Vernetzung mit den Standorten Oberpfaffenhofen, München und Garching zu einer Hightech-Region soll Spitzenforschung ermöglichen und zugleich den Südosten Münchens zum Raumfahrtstandort Nummer eins in Europa machen. Kooperationen mit der Luft- und Raumfahrtindustrie sollen zudem die Entwicklung hin zu einem "Munich Space Valley" befördern.
"Der Erfolg der Fakultät wird dabei wesentlich aus exzellenten Berufungen von Lehrenden sowie der Gewinnung studentischer Talente resultieren", sagt Michael Klimke, Geschäftsführer der Fakultät. Bei einer Podiumsdiskussion in Taufkirchen Anfang dieses Jahres hatte Klimke betont: "Die Mission unserer Forschung ist nicht der Mond und nicht der Mars. Unsere Mission ist die Erde - die Erforschung unseres Planeten."
Innerhalb von zehn Jahren soll am Forschungsstandort Taufkirchen/Ottobrunn ein Universitätscampus für bis zu 4000 Studierende, mehr als 50 Professoren und einige Hundert Mitarbeiter entstehen. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Am ersten Arbeitstag von Martin Werner war reges Campusleben noch ganz leise Zukunftsmusik. Sein Start am Big-Data-Lab der TU fiel auf einen Tag Anfang April inmitten der Corona-Krise. "Ich hatte Glück, dass ich vor Ausbruch der Pandemie noch an einer Strategiesitzung teilnehmen konnte", erklärt Werner. So habe er viele Kollegen des Fachbereichs vorab kennengelernt. Ein Arbeitsalltag am neuen TU-Standort sei noch nicht möglich, Lehrende und Studierende seien aber digital miteinander verbunden. Auch Forschungsarbeit werde aufgrund der Pandemie zum Großteil aus dem Homeoffice betrieben.
Wie kontrovers Big-Data-Forschung und ihre Anwendungsgebiete diskutiert werden, hat die öffentliche Debatte um eine Corona-App ein weiteres Mal gezeigt. "Der gesellschaftliche Nutzen von Anwendungen muss immer dagegen abgewogen werden, welche Freiheitsrechte wir dafür aufgeben und welche Risiken bei einer missbräuchlichen Nutzung entstehen", erklärt Werner. Ortsinformationen seien mit Blick auf den Datenschutz kritisch. Man könne beispielsweise eine Person anhand weniger Orte, an der sie sich aufgehalten hat, identifizieren. Und die Wahrscheinlichkeit, den Wohnort einer Person abbilden zu können, sei durch Kontaktpersonen wie Nachbarn sehr hoch. Auf der anderen Seite stünden Argumente wie eine schnellere Infektionsabwehr durch Tracing-Apps.
Big Data verspreche Wissen, gehe dabei aber mit einer großen gesellschaftlichen Verantwortung einher. Die Verwendung von Daten werfe ethische, politische und juristische Fragen auf. "Algorithmische Methoden zum Datenschutz gehören daher essenziell zum Kern der Forschung", sagt Werner, der in Bonn Mathematik studiert und in München zu Indoornavigation promoviert hat. "Für Mathematik und die Ästhetik, die darin steckt, habe ich mich schon immer begeistert - und eben für Computer", sagt der 35-Jährige.
Diese Passion hat Werner schon weit gebracht: Nach Stationen an der Universität Hannover und am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), wo er im Bereich globaler Kartografie und Urbanisierungsstrukturen forschte, war er zuletzt Professor für Geoinformatik an der Universität der Bundeswehr.
Am Big-Data-Lab der TU, das Werner am Ludwig Bölkow Campus aufbaut, liege der Fokus auf dem Forschungsnutzen für die Erde und ihre Bewohner. Denn Mensch und Umwelt können in vielen Bereichen von Big Data profitieren. So trage die Auswertung von Satellitendaten dazu bei, "die Umwelt und das Erdsystem besser zu verstehen - millimetergenau für autonomes Fahren und quadratmeterweise in der Klimaforschung", erklärt Werner. Die Anwendungsmöglichkeiten sind breit gefächert. Mobilitätsdienste wie Elektroroller könnten ohne Geodaten nicht bereitgestellt werden, Navigationsgeräte keinen Weg weisen.
Die Gesellschaft profitiere auch in den Bereichen der Verkehrs- und Städteplanung oder durch Frühwarnsysteme. So arbeite beispielsweise Ororatech, ein junges Start-up der TU daran, die Gefahr von Waldbränden durch ein Frühwarnsystem aus dem All zu lösen. Darüber hinaus sei die Verwendung von Massendaten auch für andere Fachbereiche, wie die Sozialwissenschaften relevant, denn nur die Zusammenarbeit vieler Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen verspreche Antworten auf drängende Fragen der Menschheit. Gewonnen auch durch Data-Mining, dem Suchen von Erkenntnissen im Datenberg.