Soziales:In den Familien brechen Konflikte auf

Lesezeit: 2 min

In der Hochphase der Pandemie hatten die Berater der Arbeiterwohlfahrt in Unterschleißheim eher weniger zu tun. Jetzt sind sie überlastet, weil sich vieles aufgestaut hat

Von Bernhard Lohr, Unterschleißheim

Sie sind nur schwer vom Smartphone wegzubekommen. Und sobald sich die Gelegenheit bietet, sitzen sie zu Hause vor dem Bildschirm und zocken Fortnite: Bei vielen Teenagern hat in der Corona-Pandemie der Medienkonsum zugenommen. Die Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Unterschleißheim bekommt das zu spüren. Die Terminanfragen von Hilfesuchenden haben deutlich zugenommen. Das wichtigste sei bei Konflikten in der Familie, mit den jungen Leuten im Gespräch zu bleiben, sagt Familientherapeutin Jutta Joseph-Wallasch, und sich Rat von außen zu holen.

Als die Pandemie vergangenes Jahr ihren Höhepunkt erreichte und sich bei vielen zu Hause die mittlerweile gut dokumentierten Dramen im Homeschooling abspielten, erlebten viele Beratungsstellen eine merkwürdige Zeit der Ruhe. Mittlerweile steigen die Zahlen deutlich.

Die Ruhe war trügerisch und hatte viel damit zu tun, dass vergangenes Jahr Betreuungseinrichtungen und Schulen lange verwaist waren. Die Erzieherinnen und Erzieher sowie die Lehrkräfte bekamen wenig mit, wie es den Kindern zu Hause ging. Und sie konnten auch keine Auffälligkeiten feststellen. Es fehlte das Gespräch mit den Eltern und der Appell, sich an eine Beratungsstelle zu wenden. Im Jahresbericht der Beratungsstelle in Unterschleißheim schlägt sich das nieder. Viele Eltern saßen verzweifelt zu Hause, doch die Zahl der Fälle insgesamt sank mit 315 auf einen Tiefststand seit 2016. Von den 1286 Beratungskontakten waren 487 am Telefon.

Die Therapeutin Jutta Joseph-Wallasch sagt, manche Erziehungsberechtigte, die sicher Hilfe gebraucht hätten, hätten sicher auch gedacht, die Beratungsstelle sei nicht erreichbar oder könne ihre Dienste in der Corona-Pandemie nicht mehr erbringen. Dabei sei man tatsächlich "immer zur Verfügung gestanden". Viele Beratungen hätten online stattfinden müssen, oder eben am Telefon. Auch zu sogenannten Beratungsspaziergängen habe man sich getroffen, um Hilfesuchenden unter Einhaltung der Corona-Beschränkungen beistehen zu können. Eine Telefonsprechstunde habe man eingeführt, aber die sei leider wenig genutzt worden.

Besonders hat die Pandemie aus Sicht der Therapeutin Joseph-Wallasch die Schüler getroffen. Der aus Gründen des Gesundheitsschutzes geforderte Digitalsierungsschub hat nach ihrer Beobachtung nicht nur dazu geführt, dass Schüler den Umgang mit dem Schullaptop gelernt haben. Übers Netz liefen auch viele Sozialkontakte. Das Streamen von Filmen und Computer-Spiele wurden zur Freizeitbeschäftigung, weil vieles anderes weggebrochen war. Kein Sportverein, keine Treffen bei Freunden: Sie könne keine Diagnose stellen, sagt Joseph-Wallasch. Aber viele Kinder und Jugendliche täten sich nach wie vor schwer, in den alten Rhythmus zu finden. Viele hätten sich zurückgezogen.

Auch Familien insgesamt standen unter Druck. Trennung ist ein großes Thema in der Beratungsstelle in Unterschleißheim, die Paaren manchmal schon früh hilft, eine Trennungssituation für alle gut über die Bühne zu bringen. Aber man arbeitet auch mit dem Familiengericht zusammen. Der Rückblick auf das vergangene Jahr zeigt, dass Konflikte in der Partnerschaft und Trennungen mit 35 Prozent die häufigsten Probleme sind, mit denen die Awo-Mitarbeiter zu tun bekommen haben. Gefolgt von: Auffälligkeiten im Sozialverhalten mit 21 Prozent, Entwicklungsrückständen mit 18 Prozent, Erziehungsverhalten und emotionalen Auffälligkeiten (jeweils 17 Prozent). Bei 15 Prozent der Fälle ging es um Angstbewältigung. Die "emotionalen und finanziellen Belastungen vieler Familien durch die Folgen der Pandemie" seien deutlich geworden, blickt die Leiterin der Beratungsstelle, Gaby Kittel, zurück.

Die Awo arbeitet eng mit anderen Hilfsstellen zusammen, wobei Termine bei Psychotherapeuten wegen der verstärkten Anfragen nur schwer zu bekommen seien. 68 Prozent der Beratungsfälle kommen aus Unter-, 17 Prozent aus Oberschleißheim; die übrigen aus umliegenden Kommunen. Die Beratung ist laut Awo freiwillig und kostenlos. Die Beratungsstelle hat vergangenes Jahr im ersten Stock eines Bürogebäudes in der Carl-von-Linde-Straße 40 größere Räume bezogen. Zu klein seien sie weiterhin, sagt Joseph-Wallasch; obwohl die Online-Beratung auch etabliert ist.

© SZ vom 13.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: