Skulptur Mae West:Eine Sex-Göttin für München

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1,5 Millionen Euro soll die Großskulptur "Mae West" kosten, die in der Nacht zum Sonntag am Effnerplatz zusammengesetzt wird. Zu viel? In München lästern sie schon über den "Eierbecher". Warum Kunst mitunter zu hitzigen Debatten führt.

Franz Kotteder

Mitten in der Nacht von Samstag auf Sonntag bekommt München eine Sex-Göttin. Mae West wird dann auferstehen, als 52 Meter hohe Großskulptur aus karbonummantelten Stahlrohren am Effnerplatz. Nachts um 1.30 Uhr wird der Oberkörper auf den Unterleib gehoben, damit Arbeiter des städtischen Baureferats die beiden Teile miteinander verschrauben können. "Mae West", das Kunstwerk der amerikanischen Bildhauerin Rita McBride, ist damit nach einem guten Vierteljahr Bauzeit endlich fertig.

1,54 Millionen Euro hat die Monumentalplastik gekostet, und viele werden sie schon wegen dieser hohen Summe nicht besonders sexy finden. Und überhaupt fühlen sich einige Kunstbetrachter weniger an die üppigen Kurven der berühmten Hollywood-Diva Mary Jane West, "Mae West" genannt, erinnert, sondern an sehr viel profanere Dinge: "Strickliesl" oder "Eierbecher" hat der Volksmund das Werk salopp getauft.

Mae West ist insofern ein nicht untypisches Beispiel für den Umgang mit "Kunst im öffentlichen Raum", wie der Begriff dafür in der Fachsprache lautet. Die Diskussion bewegt sich meist zwischen zwei Polen, die sich griffig in zwei Sätzen ausdrücken lassen: "Für so einen Schmarrn haben sie Geld", sagen die einen, "das ist Kunst, davon versteht Ihr nichts", die anderen. Irgendwo dazwischen bewegen sich die Politiker, meist mehr in Richtung Volkes Stimme.

So wäre auch Mae West beinahe noch an Münchens Oberbürgermeister Christian Ude gescheitert, der die ganze Sache als versierter Populist ziemlich überbezahlt fand und deshalb bei der entscheidenden Sitzung im Stadtrat auch gegen das Projekt gestimmt hat. Anders als in vorausgegangenen Fällen nutzte Ude aber diesmal seinen Einfluss nicht aus, um das Vorhaben ganz zu kippen. Das lag wohl daran, dass er sich zuvor durch ein paar ungeschickte Urteile in Sachen Kunst arg blamiert hatte.

Es passt halt nicht zu seinem ansonsten gern gepflegten Image des Schwabinger Kulturmenschen, dass er sich öffentlich allzu oft als Kunstbanause outet. Und so erlaubt sich Ude inzwischen nur noch gelegentlich ein paar ironische Spitzen. Als es etwa 2009 um eine Lichtinstallation zu Ehren des Hitler-Attentäters Georg Elser an der Türkenschule ging. Hätte eine Jury über das Sigi-Sommer-Denkmal in der Rosenstraße zu entscheiden gehabt, so ätzte Ude damals, dann wäre der Volksschriftsteller wohl nicht durch eine Bronzefigur verewigt worden, "sondern durch einen Laserstrahl".

Der Münchner Oberbürgermeister ist damit ein gutes Beispiel für das Dilemma, mit dem sich zeitgenössische Kunst überall herumschlagen muss, sobald sie in öffentlichem Auftrag entsteht: Das Publikum will am liebsten etwas haben, was es schon kennt. Eine Bronzestatue etwa oder einen schönen Brunnen. Künstler hingegen möchten am liebsten etwas ganz Neues machen, etwas aufzeigen, was man so noch nicht gesehen hat.

Die Sprache der Gegenwartskunst ist zudem noch schwerer zu verstehen als etwa die der Neuen Musik. Kundige Experten gibt es zwar, aber viele scheinen sich oft lieber im eigenen Expertentum sonnen zu wollen und eifersüchtig darüber zu wachen, dass auch möglichst wenig andere diese Sprache verstehen, anstatt sie zu vermitteln. So wächst natürlich auf der anderen Seite die Zahl jener misstrauischen Gemüter, die im Grunde alle Kunst seit Ende des 19.Jahrhunderts für Scharlatanerie halten und die meisten Künstler für zweifelhafte Gestalten, die sich nur darauf verstehen, den Menschen mit irgendwelchem Quatsch Geld aus der Tasche zu ziehen.

In der Nacht zum Sonntag wird die Skulptur Mae West am Effnerplatz zusammengesetzt. (Foto: Stephan Rumpf)

So ist es im Grunde verwunderlich, dass relativ viel Kunst in öffentlichem Auftrag entsteht, trotz all der hitzig geführten Debatten. Zu tun hat das vor allem mit einer Art Selbstverpflichtung öffentlicher Bauherrn, die auf die Zeit der Weimarer Republik zurückgeht. Nachdem der Adel als Kunstmäzen durch den demokratischen Umsturz von 1918 weggefallen war, forderten die großen Künstlerverbände gewissermaßen Ersatz - und konnten durchsetzen, dass ein bis zwei Prozent der Kosten für öffentliche Bauten in die sogenannte "Kunst am Bau" investiert werden sollten.

Obwohl dieser Prozentsatz nie - wie ursprünglich einmal vorgesehen - gesetzlich fixiert wurde, gilt er bis heute als Empfehlung, der sich öffentliche Bauträger mal mehr, mal weniger annähern. Auch Mae West hat ihre Entstehung dieser Quote zu verdanken: Sie wurde in Auftrag gegeben wegen des neuen Richard-Strauss-Tunnels, und ihre Kosten machen etwa 0,5 Prozent der Tunnelkosten aus.

In München ist das eher die Untergrenze. Aber die Kunstwerke fallen auch selten so spektakulär aus wie in diesem Fall. Beim Petueltunnel etwa wurde im Jahr 2005 die Summe aufgeteilt auf 13 Einzelwerke, die nach einem Gesamtkonzept des Bildhauers Stephan Huber auf den gesamten Petuelpark verteilt wurden. Das Vorhaben ging noch zurück auf den kunstsinnigen Baureferenten Horst Haffner (FDP), der zwischen 1988 und 2004 für die städtischen Bauten zuständig war. Er hatte schon früh das in seiner Behörde existierende Programm für Kunst am Bau gefördert und ausgebaut, und es funktioniert bis heute unter dem Namen "Quivid" sehr erfolgreich und ohne großes Aufsehen.

Parallel dazu machte der damalige Kulturreferent Julian Nida-Rümelin (SPD), als Sohn des Münchner Bildhauers Rolf Nida-Rümelin schon früh mit den Nöten freier Künstler vertraut, 1999 einen weiteren Fördertopf auf. Er setzte im Stadtrat durch, dass 0,75 Prozent der Kosten aller städtischen Baumaßnahmen Jahr für Jahr in einen Kunstfonds fließen für Werke, die nicht an bestimmte Bauten gebunden ist. Aktuell sind das etwa 880.000 Euro im Jahr.

Selbstverständlich geben die Jury-Entscheidungen auch hier immer wieder Anlass für erregte Debatten. Vor allem, weil die wenigsten verstehen, warum die Künstler so hohe Summen kassieren. Vergessen wird aber, dass es sich dabei um einen Komplettbetrag handelt für Produktion und Aufstellung des Werks: Das eigentliche Künstlerhonorar ist schon enthalten und oft eher bescheiden. Dennoch könnten viele Künstler, die nicht im internationalen Markt mitmischen, ohne derartige Aufträge gar nicht überleben. Auch wenn nicht jeder gleich die Gelegenheit bekommt, eine 52 Meter hohe Sex-Göttin hinzustellen.

© SZ vom 29.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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