Es ist ein aufwühlender Tag für den gerade einmal 17 Jahre alten bayerischen Prinzen Otto. Am 6. Dezember 1832, einem Donnerstag, lässt er schweren Herzens seine Heimat und seine Liebsten hinter sich, um künftig als König von Griechenland zu wirken. In Hellas setzt man größte Hoffnungen in ihn. Otto soll nach einem langen Kampf gegen das Osmanische Reich eine friedliche Regentschaft einführen. In Teilen wird er den Erwartungen gerecht. "Die Freiheit haben sich die Griechen selbst erkämpft, aber daraus einen Staat zu machen, das hat mit Otto begonnen", sagt Jan Murken, Leiter und Gründer des Otto-König-von-Griechenland-Museums in Ottobrunn.
Wenn man so will, ist der junge Prinz in Ottobrunn zum Mann geworden. Vielleicht blickte er sich an diesem Dezembertag noch einmal um und sah dabei die Frauentürme, zum letzten Mal für lange Zeit. Nach einem feierlichen Lebewohl in der Residenz in München begleiteten ihn unter anderem seine Eltern, König Ludwig I. und Königin Therese, sowie sein Regentschaftsrat. Bei Kilometer zwölf der alten Handelsstraße von München ins Inntal und nach Salzburg, der heutigen Rosenheimer Landstraße, war Schluss zumindest mit der väterlichen Fürsorge, hier verabschiedete Ludwig I. seinen Sohn, die Mutter begleitete Otto noch bis Bad Aibling. Die Stelle auf dem Areal des heutigen Ottobrunn liegt zu der Zeit mitten im Wald. Das hat einen Grund: Dort war ein Stützpunkt mit einem Straßenwärterhäuschen, wo die Fuhrwerke wenden können.
Im Ottobrunner Museum sind Ottos Reise ebenso wie der griechische Freiheitskampf und sein Wirken als König anschaulich dargestellt. Die bayerisch-griechische Geschichte ist anhand von Gemälden, Urkunden und Texten akribisch aufbereitet. Museumsleiter Murken trug die Schätze mit Sammeleifer, Verhandlungsgeschick und einer großen Leidenschaft für das Griechische seit der Gründung des Museums vor fast 25 Jahren zusammen. "Das ist unser wertvollstes Stück", sagt er und zeigt auf ein Porträt Ottos in Uniform. Friedrich Dürck hat es nach dem Original seines Onkels Joseph Stieler gemalt. Stets bekam das Museum viel Unterstützung von Spendern und von der Gemeinde. 1976 hatte der Gemeinderat beschlossen, eine Sammlung zum Thema "König Otto von Griechenland und die historischen Verbindungen von Bayern und Griechenland" aufzubauen - auf einen Antrag Murkens hin, der damals Gemeinderat war. Heute ist das Museum auch in Fachkreisen höchst angesehen. Und die bayerisch-griechischen Beziehungen werden intensiv gepflegt.
An den Ort des Abschieds Ottos von seinem Vater erinnert ein Denkmal, die Ottosäule. Sie wurde 1834 enthüllt - Otto selbst besuchte sie erst 1836, als er auf Brautschau in Bayern war. Eine Inschrift auf dem Sockel kündet von der Hoffnung, die man in den jungen Otto setzt: "(...) Geweckt ist eine Welt aus ihrem Schlafe, Befreyung schwingt des Sieges Palme hoch. In Hellas zieh'n erfreute Millionen hochjauchzend dem Jahrhundert Ottos zu; Sie leben neu im Buch der Nationen, beglückt durch Eintracht, Sicherheit und Ruh." Den Ottobrunnern ist die Säule nicht nur Denkmal. Ihr ist es laut Murken zu verdanken, dass die ersten Siedler den Namen Ottos in den Bezeichnungen für ihr Siedlungsgebiet verwendeten. "Ottohain" und "Ottokolonie" hieß es, bis 1921 der Name Ottobrunn gefunden war.
Wie es dazu kam, dass ein bayerischer Prinz beim Aufbau des griechischen Staats helfen sollte, kann Murken berichten. Nach dem Untergang von Byzanz 1453 besetzten die Osmanen auch Griechenland. Ende des 18. Jahrhunderts wächst dort der Wunsch nach einem freien Staat. Er kulminiert am 25. März 1821 in einem Aufstand - der Beginn des Freiheitskampfs und heute Nationalfeiertag der Griechen. "Weil die Griechen keine Tradition hatten, die eine staatliche Struktur vorgab, und nicht so organisiert waren wie die Gegner, war ihre Sache aussichtslos", sagt Murken. Die Entscheidung zugunsten der Griechen fällt, als sich England, Frankreich und Russland einschalten. In der Seeschlacht von Navarino am 20. Oktober1827 besiegt das europäische Geschwader schließlich die osmanische Flotte.
Als 1831 der erste Staatspräsident Griechenlands, Ioannis Kapodistrias, ermordet wird, herrscht Anarchie. "Es gab sehr kluge Köpfe, die sagten, ,Wir brauchen Hilfe von außen, wir brauchen einen Souverän, der von allen europäischen Staaten akzeptiert ist'" , sagt Murken. Im Mai 1832 einigen sich die Großmächte England, Frankreich und Russland auf den bayerischen Prinzen als ersten König des befreiten Landes. Als drei Deputierte aus Griechenland Otto die Krone anbieten, müssen sie nicht lange bitten: Ottos Vater Ludwig I. ist ein großer Griechenlandliebhaber. Wie hoffnungsvoll die Stimmung ist, als Otto am 6. Februar 1833 in Nauplia eintrifft, lässt die Lithografie "Einzug Ottos von Griechenland in Nauplia" im Museum erahnen. Murken zeigt auch ein Bild einer griechischen Adelsfamilie, wobei ein alter Mann auf eine Zeitung deutet, deren Titel "Der Retter" lautet. Unmissverständlich eine Anspielung auf Otto. Dieser erfüllt die Erwartungen, zumindest zum Teil. Er lässt Krankenhäuser bauen. Architekt Leo von Klenze entwirft den Stadtplan für Athen, der modifiziert umgesetzt wird. Und Otto lässt Gesetzesbücher schreiben. Er baut eine Verwaltung auf. "Die innenpolitischen Erfolge waren enorm", sagt Murken. Auch die Griechen schätzen Ottos Wirken, der ehemalige Staatspräsident Konstantinos Stefanopoulos formulierte das einmal so: "Ich weiß, wie sehr Otto Griechenland geliebt hat. Er wurde zutiefst Grieche, das Sprachrohr der griechischen Sehnsüchte (...) Sicher ist, dass er dem Land gedient hat, dass er einen Staat aus dem Nichts wieder aufgebaut hat."
Und trotzdem scheitert Otto. Sein monarchischer Herrschaftsanspruch missfällt den Griechen zunehmend. Erst 1843 gewährt er ihnen eine Verfassung. Außenpolitisch kommt er mit der Idee der Griechen, auch die übrigen unterworfenen Gebiete der Heimat zu befreien, nicht weiter. Die europäische Großmachtpolitik erlegt ihm laut Murken eiserne Fesseln auf. So kommt es, dass Otto am 23. Oktober 1862 Griechenland wieder verlässt und nach Bamberg geht. Seine Liebe zu Griechenland verlässt ihn auch in Bayern nicht. Seine letzten Worte sollen gewesen sein: "Mein liebes Griechenland."
Am Donnerstag: Die Schellingstraße - die Straße des 20. Jahrhunderts