Sehnsucht:Alex und seine Heldin

Lesezeit: 3 min

Alex kämpft tapfer. Noch 2016 will er raus aus der Klinik. (Foto: privat)

Für den Buben aus Feldkirchen ist eine Stammzellenspenderin gefunden worden. Nach erfolgreicher Transplantation sollte der Kleine an Weihnachten nach Hause kommen. Doch problematische Blutwerte verzögern die Heimkehr. Eltern und Geschwister können es kaum erwarten

Von Ulrike Schuster

Zwölf Stunden lang fließt das neue Leben aus dem Transfusion-Beutel hinein in den kleinen Körper - es sind frische, gesunde Stammzellen von seiner Spenderin. In exakt zehn Gewebemerkmalen - der perfekte Match, vergleichbar mit dem Partner fürs Leben - stimmt ihr Blut überein. Für den sieben Monate alten Alex ist dieses Spiegelbild das Versprechen, wachsen zu dürfen. Sein Schicksal hat sich gedreht, die Hoffnung lebt.

Alex ist erst acht Wochen alt, als die niederschmetternde Diagnose kommt: Das Kind ist sterbenskrank, hat einen Gendefekt des Immunsystems, namentlich HLH (Hämophagozytische Lymphohistiozytose), er hält den Körper in Dauer-Grippe, zerstört die Organe. Seine einzige Chance sind gesunde Stammzellen.

Die Eltern, Markus Sperl, 29, und Laura Haimerl, 27, verbünden sich mit der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS), in der allein in Deutschland mehr als sechs Millionen potenzielle Spender registriert sind. Gemeinsam stellen sie eine Typisierungsaktion auf die Beine, um die Chance, den richtigen Spender zu finden, zu erhöhen - was statistisch gesehen so viel Glück bedeutet, wie einen Sechser im Lotto zu haben.

Die Eltern Lauraund Markus, damals noch im Schwangerschafts-Glück. (Foto: privat)

Zwölf Minuten dauert die Typisierung

Die Eltern aktivieren eine Hundertschaft an Helfern zum Blutabnehmen und für die Formalitäten. Die DKMS stellt die Gerätschaften, das Wissen und die Papiere. Zwölf Minuten lang dauert es, sich als Spender registrieren zu lassen. Am 11. September kommen 1091 Menschen zu der Typisierungsaktion in Feldkirchen - und schenken Alex und seinen Eltern Hoffnung.

Ob das Telefon wohl bald klingeln würde? Tatsächlich schellt der Apparat nur wenige Wochen später. "Wir haben ihn gefunden", lautet die Nachricht. Oder besser: sie gefunden, eine Heldin für Alex. Mehr dürfen die Eltern nicht von ihr wissen. Licht am Horizont, großer Jubel - bei der Mutter etwas verhaltener als beim Vater.

Hautnah hat sie miterlebt, dass die Stammzellen die einzige Chance zu überleben sind, aber keine Garantie. Jahrelang kämpfte Haimerls Vater gegen Leukämie, trotz Stammzellen starb er vor drei Jahren. Die Erfolgsquote der Transplantationen liegt bei etwa 80 Prozent, abhängig von der Grunderkrankung des Patienten und vom Diagnosezeitpunkt.

Der Kleine muss durch die "Hardcore-Chemo"

Ende Oktober zieht Alex auf die Isolierstation des Schwabinger Krankenhauses, muss durch die "Hardcore-Chemo", wie der Vater sagt, um das kranke Immunsystem platt und Platz für ein gesundes zu machen.

Am 2. November dann der große Tag, quasi der zweite Geburtstag, die Stammzellen-Transplantation. Völlig unspektakulär sei sie gewesen, sagt Sperl, "am beeindruckendsten war, dass so ein kleiner Körper so viel Blut verträgt". Die Wochen danach hat Alex ziemlich miese Laune, "wenn er nicht schlief, weinte er", sagt die Mutter.

Die Wirkung im Körper ist das eigentlich Spektakuläre, das Einnisten der Zellen. Damit das passiert, gibt es Mini-Chemos, Antibiotika, Immunsuppressiva, Mittel gegen hohen Blutdruck, gegen Pilze und als Schutz für den Magen.

Mit den Wach-Zeiten bei Alex wechseln sich die Eltern ab. Sperl, der Rettungssanitäter, ist krank geschrieben und Haimerl, die Industriekauffrau, ist in Elternzeit. Beide vermissen ihren Job, die Kollegen. "Es ist nicht so, dass ich mich auf den nächsten Unfall oder die Katze auf dem Baum freue, aber ich will mal wieder anderen helfen", sagt er.

Alex ist immer Thema

Die Mutter kommt jeden Tag um 9 Uhr, um an seinem Bettchen zu sitzen. Vorher macht sie die Töchter, Franziska, 4, und Veronika, 6, startklar für Kindergarten und Schule, stellt Omelett und Kakao auf den Frühstückstisch. Alex ist immer Thema. "Die Mädchen fragen ständig, wie's dem Bruder geht, sie vermissen ihn schrecklich", sagt die Mutter. Nachmittags um 15 Uhr löst der Vater sie ab, bis dahin hat er die Wäsche gemacht, eingekauft, geputzt.

Er bleibt bis 21 Uhr, übernachten wäre zu gefährlich, es herrscht maximale Vorsicht für das noch so schwache Abwehrsystem des Kleinen. Jedes Bakterium könnte töten.

Aus der Klinik fährt Laura Haimerl direkt zum Hort, holt die Mädchen ab, kontrolliert die Hausaufgaben, fährt sie zum Reiten und zum Karate. Schafft sie es nicht pünktlich oder muss selbst mal zum Arzt, springen Freunde und Nachbarn ein. "Wir haben wahnsinnig viel Unterstützung, dafür sind wir unendlich dankbar", sagt sie. Alles hat das Paar nahezu perfekt getaktet, bloß sie zwei sehen sich kaum noch. Kommt er nach Hause, liegt sie schon im Bett. Zuletzt zusammen gegessen haben sie vor acht Wochen, direkt neben der Klinik, Pizza. "Es könnte schlimmer sein", sagt Haimerl, "was wir jetzt durchmachen, schweißt zusammen".

Zu Weihnachten hatten beide nur einen Wunsch: Alex endlich mit nach Hause nehmen zu dürfen. Heilig Abend sollte es so weit sein. Dann, vor wenigen Tagen, verschlechterten sich die Kontrollwerte, Bakterien im Blut, die Heimkehr am 24. Dezember war vom Tisch. "Die Enttäuschung hält sich in Grenzen", sagt die Mutter, "entscheidend ist, dass das Blut bald wieder stimmt". Haimerl und Sperl freuen sich auf das Silvester-Feuerwerk. In der Hoffnung, dass 2017 alles ganz anders, viel besser wird.

© SZ vom 24.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: