Sauerlach:Bei den Opfern der Globalisierung

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Einmal auf die andere Seite der Erde: Leona Erren war als Volunteer in Kambodscha. (Foto: Claus Schunk)

Leona Erren war über eine Hilfsorganisation als Freiwillige in Kambodscha, wo sie Volksstämme traf, denen Stück für Stück ihre traditionelle Lebensgrundlage geraubt wird. Was sie dort im Einzelnen erlebte, hat die 19-jährige Sauerlacherin in einem Dokumentarfilm festgehalten

Von Magdalena Mock, Sauerlach

Grillen zirpen, während die aufgehende Sonne das üppige Grün des kambodschanischen Urwalds in goldenes Licht taucht. In der Ferne kräht ein Hahn. Zwei kleine Jungen winken strahlend vom Rücken der dicken Wasserbüffel herunter, auf denen sie über die rote Erde ihres Dorfes reiten. Diese eindrücklichen Bilder hat Leona Erren mit ihrer Kamera festgehalten. Die 19-jährige Sauerlacherin war als Freiwillige mit der Hilfsorganisation Concultures drei Wochen in Kambodscha unterwegs - und hat einen kurzen Film darüber gedreht.

Es ist Trend, etwas Gutes zu tun. Möglichst armen Menschen zu helfen, an Projekten im Ausland mitzuarbeiten. Ein paar Wochen soziale Arbeit machen sich außerdem gut im Lebenslauf. Die Nachfrage nach Freiwilligenjobs steigt. Neben den gemeinnützigen Organisationen tummeln sich auch rein kommerzielle Anbieter auf dem Markt. Durch das große Interesse junger Menschen hat sich eine regelrechte Industrie gebildet, in der einige schwarze Schafe versuchen, Kasse zu machen. Das Geschäft mit dem Mitleid boomt - auf Kosten der eigentlich zu helfenden Bevölkerung vor Ort.

Concultures, die kleine effektive Hilfsorganisation aus Sauerlach, mit der Leona nach Kambodscha gereist ist, grenzt sich sehr entschieden von dieser Charity-Industrie ab. Als deutscher Repräsentant der britischen Organisation United World Schools unterstützt der gemeinnützige Verein Bildungsinitiativen in den entlegensten Regionen Kambodschas. Die dort ansässigen indigenen Volksstämme, von denen jeder seine eigene Sprache hat, leben in Subsistenzwirtschaft von ihren Reisfeldern. Durch Rodung und Landenteignung wird ihnen Stück für Stück ihre traditionelle Lebensgrundlage genommen. Sie sind gezwungen, sich an die neuen Umstände anzupassen und Berufe zu ergreifen.

Die meisten Dorfbewohner können jedoch die Landessprache Khmer weder lesen noch schreiben. "Das sind Opfer der Globalisierung", sagt Amelie von Borries, Vorsitzende von Concultures. Mit ihrer Organisation möchte sie helfen, die Lebensumstände der Menschen zuverbessern: einerseits mit Fundraising, andererseits mit gezielten sozialen Projekten für Jugendliche ab 16 Jahren. Das Motto des Freiwilligen-Projekts: "If you want to help, shut up and listen", zu Deutsch "Wenn du helfen willst, Mund halten und zuhören".

Nichts soll über die Köpfe der Dorfbevölkerung hinweg entschieden werden. Erst nach eingehenden Gesprächen werden Schulen vor Ort eingerichtet und Einheimische zu Lehrern ausgebildet. 150 Schüler hat etwa die Schule des Dorfes Roy in der Provinz Ratanakiri, bei der auch das Team, zu dem Leona gehört, sechs Tage lang unterrichtet. Die Jugendlichen von Concultures ergänzen den klassischen Lese-, Rechen- und Sprachunterricht mit kreativen Fächern wie Kunst und Musik. Auch sie selbst profitieren von den sozialen Projekten. Durch den Kontakt zu fremden Kulturen und das Übernehmen von Verantwortung werden sie im Sinne Erasmus von Rotterdams zu Weltbürgern erzogen. So die Idee. "Es ist wirklich eine Win-win-Situation", weiß Amelie von Borries aus Erfahrung. Drei Teams von Jugendlichen hat sie bereits als Leiterin nach Kambodscha begleitet.

Leonas Gruppe startete ihr Projekt im Oktober. "Da anzukommen ist mir gar nicht schwer gefallen", erzählt die 19-Jährige. Sie habe eher Probleme gehabt, sich hinterher wieder in ihren normalen Alltag einzufinden. Trotz der recht knappen Zeit von drei Wochen sei das Erlebnis unheimlich intensiv und prägend für sie gewesen. Nachdem Leona leidenschaftlich gern Filme dreht, hat sie ihre Erlebnisse als Freiwillige mit der Kamera eingefangen. Den Trailer zu ihrer Dokumentation, die noch fertig gestellt werden muss, gibt es auf der Facebook-Seite von Concultures zu sehen. Er beginnt mit dem Aufstehen um 6 Uhr früh. Schlaftrunken schälen sich die Freiwilligen aus ihren Hängematten und schlagen die Moskitonetze zurück. Auf dem Boden schläft in den Dörfern niemand. Ebenso wenig wie man barfuß läuft. Die Gefahr durch giftige Skorpionen oder anderen Tieren ist zu groß. Waschgelegenheiten gibt es am Fluss oder Ziehbrunnen. Dort hätten sie auch einmal ungewollt nahe Bekanntschaft mit einer Schlange gemacht, erinnert sich Leona schaudernd. Das Tier hatte sich auf dem Boden des Eimers des Ziehbrunnens zusammengerollt.

Zum Frühstück gibt es Nudeln, die als Mahlzeit zu so früher Uhrzeit doch eine Spur zu kurios für die 19-jährige Sauerlacherin sind. Sie freut sich lieber auf die Fruchtsnacks, die es zwischen den Unterrichtseinheiten gibt. Die Schule beginnt um 7 Uhr. Auf dem Stundenplan stehen Sport, Kunst, Musik und Theater. Ihre eigenen Stärken bringen die Freiwilligen in verschiedenen Workshops am Nachmittag ein. Bei den Kindern besonders beliebt sind das Herstellen von Freundschaftsbändern und das pädagogische Spielen mit Baukästen. Bis in die frühen Abendstunden beschäftigt sich das Team deutscher Jugendlicher mit den Kindern - bei 27 Grad im Schatten und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit. Selbstverständlich ohne Klimaanlage.

"Die ersten Stunden waren super, aber spätestens nach der vierten läuft einem der Schweiß in Bächen runter", erinnert sich Leona. Dennoch habe das Unterrichten sehr viel Spaß gemacht. Die Kinder seien sehr interessiert und eifrig bei der Sache gewesen, manche seien abends sogar noch länger geblieben, um weiter zu lernen. "Die sind unglaublich wissbegierig", freut sich Leona noch im Nachhinein.

In der Hauptregenzeit bleiben die Schulen geschlossen. Während die jährlichen Monsunfälle über dem Land niedergehen, helfen die Kinder des Dorfes ihren Eltern auf den Reisfeldern. Trotz der einfachen Lebensverhältnisse der Menschen, die sie besucht hat, möchte Leona nicht direkt vom Armut sprechen. "Die kamen mir nicht arm vor - jedenfalls nicht im Sinne von arm dran", sagt sie. Besonders die Kinder steckten voller Energie, Lebensfreude und Kreativität. Seit ihrem Projektaufenthalt denkt die 19-Jährige anders über Materialismus. Die Reise hat sie verändert, weltoffener gemacht. Für Leona war das Projekt ein Erfolg und eine Bereicherung. Mit Oscar Wilde gesprochen: "Reisen veredelt den Geist und räumt mit all unseren Vorurteilen auf." Am liebsten würde sie noch einmal mitkommen, bei der nächsten Projektreise von Concultures.

© SZ vom 27.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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