Pullach:Scharfes Pizzicato, suggestives Streichen

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Das Vogler-Quartett alias Tim Vogler, Frank Reinecke (beide Violine), Stefan Fehlandt (Viola) und Stephan Forck (Violoncello). (Foto: Claus Schunk)

Das Vogler-Quartett meistert bei der Interpretation von Jörg Widmanns Streichquartett Nr. 4 eine Vielfalt an Spieltechniken und überzeugt auch im Zusammenspiel mit dem Komponisten und Klarinettisten aus Unterhaching

Von Udo Watter, Pullach

Die europäische Streichquartett-Kultur ist eine altehrwürdige Sache. Wer sich ihr widmet, der kann auf eine lange, ruhmreiche Tradition bauen. Aufgeschlossene und wissbegierige Kammermusiker interpretieren freilich nicht nur die kompositorischen Ruhmestaten aus vergangenen Jahrhunderten, sie wagen sich auch gerne an neuere Entwicklungen ran. Das 1985 in Ost-Berlin gegründete Vogler-Quartett, das seit knapp 30 Jahren in unveränderter Besetzung zusammenspielt, ist eines dieser Ensembles, die nicht nur die klassische Quartett-Literatur von Haydn über Beethoven bis Bartók beherrschen, sondern auch mit Hingabe Modernes und Zeitgenössisches pflegen.

Bei ihrem Konzert im Pullacher Bürgerhaus demonstrierten das Primarius Tim Vogler, Frank Reinecke (2. Violine), Bratschist Stefan Fehlandt und Cellist Stephan Forck eindrucksvoll mit der Interpretation von Jörg Widmanns Streichquartett Nr. 4, das der in Unterhaching aufgewachsene Komponist und Klarinettist vor zehn Jahren eigens für die vier geschrieben hatte.

Das Stück war freilich keine einfach Geburt gewesen, in den Tagen vor der geplanten Uraufführung in Berlin 2005 trudelten damals nur peu à peu per Fax einzelne Partiturblätter ein, wie Tim Vogler dem Publikum erzählte. "Einen Tag vor der Aufführung hatten wir längst noch nicht das ganze Stück." Ein Relikt aus dieser spannenden Zeit - ein mit mehreren Blättern zusammengebastelter Karton aus dem Notenständer - war in Pullach auch noch zu bestaunen, während der erste Geiger Vogler seinen Part inzwischen - ganz up to date - von einem Tablet ablas. Eine Kombination aus Neu und Alt ist in gewisser Weise auch Widmanns Werk, denn unter der Oberfläche walten etwa Einflüsse von Johann Sebastian Bach. Letztlich ist das "Andante" titulierte Stück, das Widmann auch als Teil eines Zyklus seiner fünf Streichquartette sieht, nicht einfach zugänglich für traditionell geprägte Ohren.

Die vier Protagonisten sind gefordert, viele neue Spieltechniken zu zeigen und Klangfarben zu entfalten. Da wird mal der Bogen wie eine Angelrute in den Raum geworfen und quasi leise die Luft geschnitten. Da wird mal - je nach Atemanweisung - lauter und leiser geschnauft - da wird mal schreitendes, mal scharfes Pizzicato angeschlagen, col legno ("mit dem Holz") agiert und zwischen komplexen und einfachen sowie natürlichen und stilisierten Fortbewegungen gewechselt. Auch leises, suggestives Quietschen und Krächzen gehört zu den technischen Anforderungen, für die man den Bogen raus haben muss. Die Mitglieder des Vogler-Quartetts meistern diese Herausforderungen eindruckvoll, und auch wenn das spröde Werk nicht unmittelbar die Sinne klangschön zum Schwingen bringt, ist es - gerade in seiner Pizzicato-Dramaturgie - ein Erlebnis.

Der Einstieg in den Konzertabend war da schon deutlich zugänglicher, man könnte auch sagen, weniger spannend: Ludwig van Beethovens Streichquartett Nr. 5, ein eher früheres Werk, das der Komponist nicht zuletzt unter dem Einfluss von Mozarts kammermusikalischen Vorbild geschrieben hatte. Freilich zeigte das Vogler-Quartett nach einem eher soliden ersten Satz seine in knapp 30 Jahre Zusammenspiel gewachsene Klasse, die eben frei ist von jeglichen Abnutzungserscheinungen: Das war vor allem im dritten und vierten Satz so homogen wie differenziert und mit einer Phrasierungsintelligenz dargeboten, die auf Akribie und Feinsinn aufbaute.

Nach der Pause hatte dann der Komponist seinen Auftritt als Klarinettist: Jörg Widmann, der auch auf diesem Gebiet zur Weltklasse gehört, spielte mit dem Vogler-Quartett Carl Maria von Webers Klarinettenquintett B-Dur. Das 1815 vollendete Werk, das Weber für den Münchner Hofklarinettisten Heinrich Baermann schrieb, ist so reizvoll wie vielfältig und dramaturgisch aufwühlend. Das reiche Klangfarbenspektrum, das Widmann hier zeigt, ist beeindruckend, seine hohe technische Virtuosität und seine sanft Expressivität, wenn er etwa im Adagio Töne aus der Stille heraus entstehen und weich in den Raum hineinschweben lässt. Auch der Humor kommt nicht zu kurz, wenn sich Streicher und Klarinette ein neckisches Frage- und Antwortspiel mit ungewissem Ausgang liefern. Ein Werk mit frühromantischen Zügen, aber auch eine Preziose der klassischen Kammermusik - versiert dargeboten und freudig beklatscht vom Publikum.

© SZ vom 22.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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