Pullach:Neue Gäste hinter alten Mauern

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Weil die Burg Schwaneck zur Notunterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wird, muss die Jugendherberge 24 000 gebuchte Übernachtungen absagen. Das Bildungsangebot soll bestehen bleiben

Von Konstantin Kaip, Pullach

In der Burg Schwaneck geht es in diesen Septembertagen gewohnt lebhaft zu: Um ein Tipi, das auf der Wiese vor dem Gemäuer steht, rufen sich die Kinder der "Naturindianer" aufgeregte Sätze zu, während Jugendliche in kleinen Gruppen ihre Runden um das Gebäude drehen, das mit seinen Türmen ein bisschen so aussieht wie das Zauberinternat Hogwarts aus den Harry-Potter-Filmen. Zwei Schulklassen aus der Schweiz sind gerade in der Jugendherberge zu Gast, in den Seminarräumen läuft eine Berufsfortbildung, mittags kommen derzeit noch die Kinder des Pullacher Ferienprogramms zum Essen. Am Wochenende sind die "Isarforscher" zu Besuch, und die "Pullacher Madln" feiern ihr jährliches Fest. "Wir sind voll belegt", sagt der Leiter des Bildungszentrums Andreas Bedacht, "wie immer".

Das wird auch im Oktober so bleiben. Nur die Gäste werden andere sein als sonst: Aufgrund der stark ansteigenden Zahl an Flüchtlingen hat der Landkreis vergangene Woche beschlossen, in der Burg Schwaneck eine Notunterkunft für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge einzurichten. Vom 1. Oktober an und nach derzeitigem Stand auf jeden Fall das gesamte kommende Jahr lang sollen dort etwa 115 männliche Flüchtlinge in fünf Gruppen betreut werden. Die Jugendlichen, die zum Großteil aus Erstaufnahmeeinrichtungen in München kommen, sollen von Pullach aus dann "so bald wie möglich" in dauerhafte Einrichtungen kommen, heißt es aus dem Landratsamt. Die Belegung der Burg erfolgt schrittweise und soll bis zum Jahresende abgeschlossen sein.

Lena Berger, Vera Lohel, Andreas Bedacht, Doris Knoll und Marcus Fink (von links) vom Kreisjugendring werden sich auch um die Flüchtlinge kümmern.

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(Foto: Claus Schunk)

Die Viererzimmer, in denen die Flüchtlinge wohnen werden, sind nach den Jugendhilfestandards für eine dauerhafte Bleibe zu eng.

Die Entscheidung kam überraschend, sagt der Geschäftsführer des Kreisjugendrings München-Land (KJR), Marcus Fink. Zuvor hatte es geheißen, dass auf dem Gelände Container für die jugendlichen Flüchtlinge errichtet werden sollen. Die aber werden nun an der Jugendbegegnungsstätte in Oberschleißheim aufgestellt, die 2013 schon ein Jahr lang als Unterkunft für minderjährige Flüchtlinge diente. Weil mit den immer neu ankommenden Flüchtlingen auch die Zahl der schutzsuchenden Jugendlichen rasch gestiegen ist, fiel die Entscheidung, die gesamte Burg Schwaneck zu belegen.

Das Team in Pullach ist nun seit Tagen damit beschäftigt, Absagen zu schreiben. Insgesamt 24 000 vertraglich zugesicherte Übernachtungen müssten sie für dieses und kommendes Jahr stornieren, sagt Bedacht. Stammgästen, die jedes Jahr buchten, habe man vorsorglich auch für 2017 abgesagt. Mit den Absagen weisen seine Mitarbeiter auch auf Alternativen im nahen Umkreis hin. "Wir sind behilflich wo es geht", sagt Bedacht. Im Oktober und November aber sei es aber schwierig, im Münchner Raum noch eine freie Jugendherberge zu finden. Für Schulklassen und andere Reisegruppen seien die Absagen bitter, die meisten aber hätten Verständnis für die Ausnahmesituation. An dem Bildungsangebot mit insgesamt 850 Veranstaltungstagen im Jahr will der KJR jedoch festhalten. "Unser Bildungsteam arbeitet mit Hochdruck daran, andere Einrichtungen zu finden", sagt Doris Knoll, die wie Bedacht für die überregionale Bildungsarbeit zuständig ist. Der Kreisjugendring könne dabei von seinem großen Netzwerk zu anderen Einrichtungen profitieren. In Pullach wird das in einem Holzrundbau untergebrachte Naturerlebniszentrum seinen Betreib wie gehabt fortsetzen, auch den ein oder anderen der elf Seminarräume in der Burg könne man weiterhin nutzen.

Für die Betreuung der jugendlichen Flüchtlinge verhandelt das Landratsamt gerade mit einem sozialen Träger, der " Erfahrung in diesem Bereich" habe, heißt es aus der Behörde. Hausverwaltung und Küche bleiben in der Hand des KJR, auch das pädagogische Personal des Bildungszentrums wird weiter im Haus bleiben. In Absprache mit den Betreuern will der KJR den Flüchtlingen dann Begegnungen mit anderen Jugendlichen vermitteln und zusätzliche Workshops in Bereichen wie Bewegung, Handwerk und Musik anbieten. Die einst von Ludwig Schwanthaler und Friedrich von Gärtner errichtete Burg mitten im Grünen ist zwar als Jugendherberge märchenhaft, mit ihren Viererzimmern aber für die Flüchtlinge nur als Übergangseinrichtung geeignet. Sie soll, sagt Fink, vor allem auch ein Ort sein, wo sie "Ruhe finden und ankommen können".

© SZ vom 12.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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