Pullach:Ernst und Leidenschaft

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Die norwegische Violinistin Vilde Frang verzaubert mit dem leuchtenden Ton ihrer Geige das Publikum im Pullacher Bürgersaal. (Foto: Claus Schunk)

"Lockenhaus on tour" bringt Kammermusik von Dvořák, Veress und Strauss nach Pullach

Von Reinhard Szyszka, Pullach

Lockenhaus? Die meisten Musikfreunde bringen diesen Ortsnamen mit Gidon Kremer in Verbindung. Wer allerdings gehofft hatte, Altmeister Kremer persönlich würde im Pullacher Bürgerhaus auftreten, sah sich enttäuscht. Es gab "nur" die zweite Generation zu hören, Schüler und Nachfolger Kremers, darunter den Cellisten Nicolas Altstaedt, dem Kremer vor drei Jahren die Leitung des Lockenhaus-Festivals anvertraut hat. Die zweite Generation - aber beileibe nicht die zweite Garde, sondern erstrangige Musiker: neben Altstaedt die norwegische Geigerin Vilde Frang, der britische Bratschist James Boyd und der deutsche Pianist Alexander Lonquich. Die vier touren zurzeit mit ihrem Lockenhaus-Programm durch die Lande; am Dienstag machten sie in Pullach Station.

Die Musiker vermieden, ganz im Sinne Kremers, die ausgetretenen Pfade und setzten weniger bekannte Werke auf ihr Programm. Zu Beginn ein Klaviertrio von Antonín Dvořák, aber eben gerade nicht das populäre Dumky-Trio, sondern das Schwesterwerk in f-Moll. Der Flügeldeckel war weit geöffnet, dennoch gelang den Künstlern vom ersten Ton an ein ausgeglichenes, kammermusikalisches Spiel, ganz ohne die penetrante Dominanz des Klaviers, die man selbst bei hervorragenden Trios so häufig antrifft. Das heißt nicht, dass das Klavier nicht zu hören gewesen wäre; im Gegenteil, das Klavier trat sehr deutlich hervor an den Stellen, wo es musikalisch Wesentliches beizutragen hatte. In anderen Passagen aber nahm sich Alexander Lonquich zurück und überließ den Streichern das Feld. Im langsamen Satz wagten es die Künstler sogar, die vorgeschriebenen leisen Töne mit letzter Konsequenz zu spielen. Vilde Frang verfügt nicht nur über einen leuchtenden Geigenton und eine makellose Intonation, sondern auch über ein klingendes, bis in die letzte Saalreihe tragendes Pianissimo. Nicolas Altstaedt am Cello steht seiner geigenden Kollegin in nichts nach.

Dann hatte das Klavier Pause; der Bratschist James Boyd kam hinzu, und es gab ein Streichtrio des ungarischen Komponisten Sándor Veress zu hören, ein Werk aus dem Jahr 1954. Musik aus den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hat mit einem schlechten Ruf zu kämpfen, gilt vielfach als seelenlos und konstruiert. Die drei Streicher machten sich anheischig, dieses Vorurteil zu widerlegen. Mit geradezu romantischer Inbrunst stürzten sie sich in die eigenwillige Klangwelt des Werks und loteten das verzwickte Stimmengeflecht mit Ernst und Leidenschaft aus. Der zweite Satz des Trios ist eine aberwitzige Jagd voll wilder Sprünge und Pizzicati; stellenweise werden die Streichinstrumente gar zum Schlagwerk umfunktioniert. Am Ende waren Spieler wie Zuhörer sichtlich erschöpft und durften in die wohlverdiente Pause gehen.

Nach der Pause fanden sich alle vier Musiker zusammen und spielten das Klavierquartett von Richard Strauss, ein Frühwerk, fast zur gleichen Zeit entstanden wie das Dvořák-Trio. Hier merkt man noch wenig vom typischen Strauss-Stil, lediglich ein Seitenthema im ersten Satz lässt den künftigen Opernmeister erahnen. Gleichwohl nahmen die Künstler auch dieses Werk ernst und ließen ihm Gerechtigkeit widerfahren. Dem Pianisten verlangt der junge Strauss einiges an Virtuosität ab. Kein Problem aber für Alexander Lonquich. Und der langsame Satz weist einen Charakterzug auf, wie man ihn bei Strauss nicht unbedingt vermutet: Zartheit. Sanft, wie hingehaucht kamen die Streicherklänge, dezent grundiert vom Klavier. Im Finale aber gibt der Komponist dem Affen Zucker, und auch die Spieler waren mit Begeisterung bei der Sache und legten einen mitreißenden Schluss hin, der die Bravo-Rufe geradezu herausforderte. Dennoch wählten sie für ihre Zugabe kein weiteres Bravourstückchen, sondern verabschiedeten sich mit dem langsamen Satz aus dem ersten Klavierquartett von Johannes Brahms.

Alles in allem ein Kammermusik-Abend auf höchstem Niveau, der dem Namen "Lockenhaus" alle Ehre machte.

© SZ vom 24.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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