Pullach:Bund der Lebenskünstler

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Die Freizeitbörse feiert zehnjähriges Bestehen. Ihre kontaktfördernden Ideen sind aus dem Gemeindeleben nicht wegzudenken

Von Jürgen Wolfram, Pullach

Sie gehen theaterradeln und fackelwandern, brechen auf zu Landpartien und Städtereisen. Gern blicken sie hinter Türen, die nicht jedem offen stehen. Wo sich Überraschendes, Ausgefallenes, Authentisches verbirgt. Vor der kulturell wie touristisch motivierten Unternehmungslust der Mitglieder der Freizeitbörse Pullach ist wenig sicher. Vielfältige Umtriebigkeit, geselliges Miteinander, dazu als soziale Komponente offene Arme für Alleinstehende - das sind die Markenzeichen dieser Gemeinschaft.

Am 8. März feiert die Freizeitbörse in der Waldwirtschaft Großhesselohe ihr zehnjähriges Bestehen. Mit festlicher Tafel, in feinem Zwirn, musikalisch, nostalgisch, kabarettistisch. Das schönste Geschenk macht sich der nichtkommerzielle, rein private Bund der Lebenskünstler bei seinem Jubiläum selbst: einen 330 Seiten starken Bildband, der daran erinnert, was die Mitglieder alles erlebt haben. Es ist derart viel, dass man ohne die fotografische Gedächtnisstütze eine komplette Aufzählung wohl kaum hinbekäme. Freizeit - in dieser Pullacher Spielart wird sie endgültig zum magisch-facettenreichen Begriff.

Ins Rollen kommt das kontaktfördernde Treiben, als Elke und Hans Harbeck vor zehn Jahren mitkriegen, wie sich in Sauerlach eine andere Freizeitbörse erfolgreich etabliert. Superidee, denken sich die beiden, und schalten im Pullacher Gemeindeblatt eine Anzeige, um das Interesse an einem losen Zusammenschluss Gleichgesinnter am Ort auszuloten. "Es war ein Schuss in den Himmel", sagt die ehemalige Rathausangestellte. Aber der soll sich rasch als Volltreffer herausstellen; schon zur ersten Versammlung erscheinen 32 Leute. Heute liegt die Mitgliederzahl bei 65, und weil der in jeder Hinsicht mobile Freizeitclub auch Nichtpullachern offen steht, zeigt die Tendenz nach oben. Leute mit Ideen und Tatendrang dürfen also gern auch in München wohnen. Sollner etwa trifft man bei der Freizeitbörse schon immer. Fluktuation? Eine vernachlässigbare Größe.

Regelmäßig kommen die "Börsler", wie sie sich nennen, im Vereinsraum des Bürgerhauses Pullach, manchmal auch im evangelischen Pfarrsaal zusammen. Dann wird an jüngste Ereignisse erinnert und mit Leidenschaft am Programm gefeilt. Dem lebhaften Austausch merkt man nicht an, dass hier fast alle Teilnehmer zwischen 60 und 80 Jahre alt sind. Erkennbar wird dafür ein bemerkenswert weites Interessenspektrum. Die Geothermie-Anlage in Oberhaching besichtigen oder das neue Heinrich-Campendonk-Museum in Penzberg? Und wie wär's mal wieder mit einer Wanderung oder Radltour? Man hat sogar schon gemeinsam ein Kochbuch kreiert. Genügend Interessenten finden sich so ziemlich für jeden Vorschlag. Er muss nur irgendwie zum Motto der Freizeitbörse passen: "Gemeinsam jung bleiben." Besonders beliebt sind Besuche bei den letzten Vertretern uralter Handwerkskunst. Und als populärer Dauerbrenner schwingt stets die Vertiefung von Details der jährlichen Reise mit. Im Herbst 2017 soll erkundet werden, wie sich das Ruhrgebiet gewandelt hat. Elke Harbeck erinnert sich gern an Reisen in den Norden. Bremen, Stade, Hamburg, Husum - alles schon mal Ziele gewesen.

Perfekte Organisation ist bei der Freizeitbörse Pullach Ehrensache. Sollten die Börsler doch mal vom rechten Kurs abkommen und sich, wie einst, auf einer Exkursion im österreichisch-ungarischen Grenzgebiet verirren, fördert das eher noch die Stimmung bei der nächsten Weinprobe. Schon das unterscheidet sie von klassischen Börsianern, die bei der leisesten Irritation im Crash landen. Um ihre robuste Abenteuerlust wird die Freizeitbörse denn auch längst von professionellen Strategen der Erwachsenenbildung und Freizeitplanung beneidet. Zumal obendrein "Satelliten" den Clubkern umkreisen: Gruppen für Boule, Tanz, Literatur, Canasta und manches mehr. Nicht zu vergessen die Mitglieder mit Spezialbegabung, die neben den Gründern Elke und Hans Harbeck den Laden stützen wie Trägermasten die Seilbahn. Leute wie Olli Sawitzki, der die Internet-Kommunikation in Gang hält. Oder wie Dieter Wolf, der unermüdliche Fotodokumentarist. Trotz ihrer Stärken will die Freizeitbörse nicht als eingetragener Verein firmieren. Eine starre Satzung, Animositäten fördernde Vorstandswahlen, das ganze Regulatorische schenkt sie sich lieber.

Wenn langjährige Mitglieder sich über die Freizeitbörse äußern, klingt das meistens hymnisch. Gisela Maurer, seit acht Jahren dabei, spricht insofern für viele, wenn sie die Freizeitgemeinschaft als "Bereicherung meines Lebens" bezeichnet. Oder wie Uta Püschel, die die Börse als Grund nennt, aus Pullach nie mehr wegzuziehen. Mit einer derartigen Resonanz hätten Elke und Hans Harbeck nicht annähernd gerechnet, als sie vor einem Jahrzehnt ihren Versuchsballon starteten. "Wir staunen manchmal selbst darüber, was aus der Idee geworden ist", sagen sie übereinstimmend. Dabei ist den Harbecks eines klar: Die überwältigende Dankbarkeit ihrer Anhänger lässt ihnen gar keine andere Wahl, als einfach weiterzumachen. Schön für Pullach und Umgebung.

© SZ vom 07.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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