Pullach:Anarchie der Realitäten

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Philosophiestudentin Doris (Dagmar Geppert) wird im Laufe des Abends zur Staubsauger-Sklavin im Bunny-Kostüm. Im Gegensatz zum devoten Phidipides (Albert Bork) will sie ihre Freiheit wieder. (Foto: Claus Schunk)

Fiktion, Wirklichkeit und Kunst im Fluss: Das Theater an der Ruhr zeigt Woody Allens "Gott" in einer inspirierend-komischen Inszenierung

Von Udo Watter, Pullach

Wenn überhaupt jemand die Frage nach der Wirklichkeit beantworten könnte, dann wohl so ein philosophisch begabtes Volk wie die alten Griechen. Die zwei Halbtrottel Hepatitis (Reinhard Firchow) und Diabetes (Albert Bork), der eine Dichter, der andere Schauspieler, unterbieten diese Erwartungshaltung jedoch zweifellos. Dem einen fällt ja nicht mal ein richtiger Schluss für sein Stück ein, mit dem er beim Athener Dramatiker-Festival reüssieren könnte (der Preis: eine Kiste Ouzo), und der andere ist auch eher eine leere Hose mit beschränkten intellektuellen Ambitionen. Dass die beiden selber auch nur Figuren in einem anderen Stück - von Woody Allen - sind, macht die Situation nicht einfacher. Sie suchen Hilfe im Dialog mit dem Publikum. Die Philosophiestudentin Doris Levine (Dagmar Geppert), die dann den Zuschauerreihen entsteigt und die Bühne betritt, ist zwar adrett, kann indes aber auch nichts Wesentliches beitragen. Da sie in einem Werk von Allen mitwirkt, kommt zum metaphysischen noch der erotische Aspekt: Nach Geplänkel mit dem brünstigen Hepatitis wird sie selbst ganz wuschig und ersucht diverse Zuschauer, mit ihr zu schlafen.

Woody Allens Komödie "Gott", welche das Theater an der Ruhr jetzt im Bürgerhaus Pullach zeigte, ist ein Stück, in dem die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit, Kunst und Realität ständig zerfließen, in dem tiefe Sinnfragen von Kalauern abgelöst werden und das Chaos der Freiheit mit Hilfe anarchisch-grotesken Humors entwaffnet wird. Die Inszenierung von Robert Ciulli - für die Dramaturgie zeichnet Helmut Schäfer verantwortlich - ist dabei temporeich und stark choreografiert. Die Schauspieler entfalten sichtlich Lust am komischen Geschehen, das eine stringente Handlung verweigert. Da gibt es wunderbare Szenen von elaborierter körperlicher Unbeholfenheit wie den Bauchtanz von Wendy Schicksal (großartig: Rupert J. Seidl als baumlanges Frauchen) oder wenn sich die eher klein gewachsenen Albert Bork (als Sklave) und Steffen Reuer (als Cratinus) in die Muskelpose antiker Heroen werfen und nebenbei mal gekonnt ein Kontrabass niedergerammelt wird. Schön auch, wie sich Ferhat Keskin als Bob Schicksal mit türkischem Macho-Kauderwelsch in Rage redet: Slapstick vom Feinsten, versierte Entführungen nach Absurdistan. Allens Humor birgt freilich stets Hintersinn und verschränkt zeitlose Fragen mit moderner Gesellschaftskritik. Der griechische Chor, bestehend aus vier Männern, gibt hauptsächlich Banalitäten von sich, dafür macht er ab und an Werbung für Restaurants. Zwischendurch kündigt ein Moderator das Antiken-Drama im Broadway-Stil an, preist die Sponsoren - und dann passiert ein paar Minuten gar nichts. So kann man die kommerzialisierte, zum leeren Entertainment degradierte Kunst und ihre Verflachung im Dienste der von Adorno beschriebenen Kulturindustrie, auch zeigen. "Kunst ist zur Unterhaltung da", heißt es, "wer eine Botschaft überbringen will, soll ein Telegramm schicken." Typisch für Allen, dass dann natürlich ein Telegrammbote auf dem Radl einfährt. Das ist schon zu einem Zeitpunkt, als die Komödie ihrem Ende zuläuft: Ein Erfinder, der Hepatitis einen Schluss (auch der angerufene Meta-Autor Woody Allen wusste keinen) versprochen hatte - nämlich Zeus als deus ex machina auftreten zu lassen - lässt den Göttervater in einer skurrilen Maschine von der Decke herabschweben. Leider erhängt sich dieser Zeus (mit Micki-Maus-Maske) bei der Aktion, so dass die nun verkündete Botschaft lautet: "Gott ist tot". Wir sind allein. Frei. Aber ist das Leben nicht sinnlos, ohne Gott?

Für den transzendenzsuchenden Komiker Woody Allen, der "Gott" in den Siebzigern schrieb, ist das Leben eben alles andere als eine Glücksveranstaltung. Es birgt freilich auch sehr vergnügliche Momente, und so einer war dieser Abend in Pullach - wobei einem Stück und Inszenierung ein paar schöne Denkinspirationen mit auf den Weg gaben. Wirklich. Oder doch nicht?

© SZ vom 19.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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