Pullach:Alles außer banal

Lesezeit: 3 min

Während Franz Froschauer als Adolf Eichmann lamentiert und sich rechtfertigt, liefert der sechsköpfige Chor im Hintergrund die Fakten. (Foto: Catherina Hess)

In Pullach erlebt "Eichmann" von Rainer Lewandowski seine Deutschlandpremiere. In der Hauptrolle überzeugt Franz Froschauer

Von Franziska Gerlach, Pullach

Eine Bestie war es nicht, die bei der Deutschlandpremiere im Bürgerhaus Pullach auf der Bühne saß. Der Mann rang ja mit sich, er suchte nach etwas. So verzweifelt schien er zu suchen, dass der Zuschauer wider besseren Wissens zuweilen gar nicht anders konnte, als Mitleid mit diesem Menschen zu empfinden. Mit einem schlechten Schüler und einfältigen Emporkömmling, Profiteur des NS-Regimes, der in seinem Referat die gesamte Deportation von Juden organisiert hatte: SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann.

Nach seiner Entführung aus Argentinien begann am 29. Mai 1960 in Jerusalem das Verhör des NS-Verbrechers durch den israelischen Polizeihauptmann Avner Werner Less. Sie sprachen 275 Stunden miteinander, das transkribierte Protokoll zählt 3564 Seiten. In seinem Schauspiel "Eichmann" hat Rainer Lewandowski die Ereignisse auf knapp anderthalb Stunden verdichtet. Dass sie einem vorkommen wie ein wilder Ritt durch düstere Zeiten, eine zugleich überaus spannende Geschichtsstunde, ist vor allem das Verdienst von Franz Froschauer, der für die Rolle des Otto Adolf Eichmann 2015 den Bühnenkunstpreis des Landes Oberösterreich erhielt. Mit heiligem Ernst und meisterlicher Schauspielkunst betet Froschauer, der gemeinsam mit Georg Mittendrein auch die Regie verantwortet, den Pullachern die Lebensgeschichte des NS-Mannes vor. Seine Jugend in Linz und die Zeit als Verkäufer bei der Oberösterreichischen Elektrobau, der Eintritt in die NSDAP und die Stationen in Wien und Prag, wo er eine Zentralstelle für jüdische Auswanderung beziehungsweise eine Auswanderungsbehörde installierte, geraten so zum Konzentrat eines augenscheinlich fremdgesteuerten Lebens. "Ich habe nie den Befehl dazu gegeben, einen Juden zu töten", blökt Froschauer alias Eichmann in den Zuschauerraum. "Ich saß am Schreibtisch und machte meine Sachen." Er japst, seine Augenlider zucken im grellen Scheinwerferlicht. Es ist die 63. Minute einer gigantischen One-Man-Show.

Das Publikum in der Position des Gegenübers hat zu diesem Zeitpunkt natürlich längst begriffen, dass das gelogen ist. Es kann ihm nicht glauben, so sehr Frosch auch den Bittsteller gibt, winselt, beteuert und beiläufig anmerkt, selbst nach seinem Eintritt in die Partei lange Spaziergänge mit einem jüdischen Jugendfreund unternommen zu haben. Doch gegen Fakten kommt Eichmann nicht an: Zu konsequent präsentiert der sechsköpfige Chor dem Publikum in kurzen Sequenzen die Wahrheit über die Gräueltaten des NS-Regimes. Mal sind es sachlich vorgetragene Passagen oder Tonbandaufnahmen, dann wiederum rezitiert der Chor tief bewegende Zeitzeugenberichte. Wie die Korrekturschablone einer Schulaufgabe legen sich diese Textfragmente über Eichmanns Lamento. Das Leid der Verfolgten, ausgepeitscht, von Hunden zerfleischt und vergast, wird so zu einem nicht enden wollenden Albtraum. Manchmal bleibt dem Protagonisten des Stücks da nur der Blicke nach oben. Hat der Chor seinen Auftritt, starrt Eichmann an die Decke, zwei, drei Minuten lang. Doch weil natürlich nie etwas kommt von dort, weder Freispruch noch Rechtfertigung, versucht er sich erneut zu erklären.

Mit Toben und auch mit Schreien versucht es Froschmann alias Eichmann, immer wieder erliegt er dem Trugschluss, Lautstärke könne ein Argument sein. Doch

irgendwann bröckelt die Fassade des zur Reflexion Unfähigen. Je öfter er seine Faust auf den Tisch sausen lässt, desto weniger kommt man umhin, Eichmann ein gewisses Kalkül zu unterstellen. Kommt er nicht an sich heran, oder tut er nur so? Lag die Philosophin Hannah Arendt, die den Eichmann-Prozess als Reporterin für das Magazin The New Yorker damals verfolgte, vielleicht doch nicht ganz richtig mit ihrer These von der "Banalität des Bösen", schon früher kontrovers diskutiert?

Hatte er eine Wahl, hätte er das Morden verhindern können, zu einem Teil zumindest? Die beängstigende Intensität, mit der Froschauer den Charakter des SS-Obersturmbannführers nachspürt, wirft solche Fragen jedenfalls auf. Eichmann, der sich nervös über die Lippen leckt. Eichmann, der pedantisch sein Taschentuch klein faltet. Eichmann, der sich vom Massenmord freisprechen will wie ein Erstklässler, der seine Hausaufgaben vergessen hat, sich in Satzungetümen ebenso verheddert wie in Widersprüchen. Ein Mann, der nur gehorcht haben will. Den möchte er den Pullachern unterjubeln.

Die schöne Regelmäßigkeit, mit der Froschauer den Antisemiten in Eichmann aufscheinen lässt, macht es einem leicht, sich in dem Stück zu orientieren. Die Inszenierung kommt erfreulicherweise ohne jene Betroffenheit aus, die das Thema zwar gebietet, oftmals aber eher zermürbt anstatt zum Nachdenken anregt, und die eigentliche Auseinandersetzung mit dem Sujet somit erschwert. "Eichmann" dagegen hat keine Berührungsängste mit dem Nationalsozialismus, aus voller Brust schmettert der Chor Hans Baumanns Soldatenlied. Das Publikum dankt dem Ensemble die Offenheit und Sensibilität in der Interpretation des schwierigen Stoffes mit Aufmerksamkeit.

Kein Husten oder Rascheln ist zu vernehmen, und diese Bedächtigkeit soll bis zum Ende des Stückes andauern. Eichmann taucht nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unter, 1950 gelangt er mithilfe des Vatikans nach Argentinien. Es ist der Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der die sogenannten Auschwitzprozesse in Gang brachte, der Eichmann dort aufspürt. Am 1. Juni 1962 wird der NS-Verbrecher in Tel Aviv gehängt. Sein Leichnam wird verbrannt, die Asche ins Meer gestreut, erfährt man in Pullach. Ein Moment des Innehaltens bei den Zuschauern. Es folgt: langanhaltender Applaus.

© SZ vom 26.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: