Pullach:70 Jahre Mitra und Rauschebart

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Rektorin Edeltraud Ullrich begrüßt den dienstältesten Nikolaus Deprosse an der Pullacher Grundschule. (Foto: Gemeinde)

Der Pullacher Erwin Deprosse schlüpft seit 1945 ins Kostüm des heiligen Nikolaus

Von Konstantin Kaip, Pullach

Natürlich war der Nikolaustag in diesem Jahr für die Kinder der Pullacher Grundschule ein freudiges Ereignis: Schließlich kam der Nikolaus an ihre Schule und brachte ihnen kleine Geschenke mit. Dass er kam, damit hatten aber die meisten gerechnet. Schließlich gehört der Nikolausbesuch seit Jahren zum Pflichtprogramm an der Pullacher Schule. Für den Mann aber, der mit weißem Rauschebart, goldenem Bischofsstab und prächtigem Umhang und Mitra dort auftrat, war der Nikolaustag 2015 etwas ganz Besonderes. Denn Erwin Deprosse, Pullacher Gemeindearchivar und seit diesem Jahr Ehrenbürger der Gemeinde, hatte in seinem Nebenjob ein besonderes Dienstjubiläum: Er ist schlüpft schon 70 Jahre in das Kostüm des gütigen Bischofs. "Ich bin seit 1945 im Namen von Nikolaus von Myra unterwegs", erklärt Deprosse, was ihn wohl unangefochten zum dienstältesten Nikolaus weit über den Landkreis hinaus macht.

Das liegt freilich auch daran, dass der Pullacher ungewöhnlich früh in diese Rolle einstieg, die ja ansonsten eher älteren Herren zusteht. Gerade einmal 14 Jahre alt war Deprosse, als er den Nikolaus am 6. Dezember 1945 zum ersten mal mimte. Wegen einer Ungerechtigkeit des damaligen Pfarrers, wie er erzählt. Der hatte nämlich zum Nikolaustag im Jahr des Kriegsendes nur die Mädchen zu sich ins Pfarrhaus geladen, erinnert sich Deprosse, damals Mitglied der Katholischen Jugend. "Um uns Buben hat er sich nicht gekümmert." Das aber hätten sie nicht mit sich machen lassen, und so hätten sie sich dazu entschlossen, der adventlichen Zusammenkunft im Pfarrhaus beizuwohnen. Deprosse verkleidete sich als Nikolaus, ein damaliger Schulfreund als Krampus. Und so stürmten sie die beschauliche Runde, wie Deprosse erzählt: "Da war er schon überrascht, der Pfarrer." Deprosse muss schon damals ein überzeugender Nikolaus gewesen sein, denn fortan hatte er jedes Jahr Auftritte mit weißem Bart. Zunächst bei Familien mit kleinen Kindern im Bekanntenkreis, dann bald in der Schule, im Altenheim und beim SV Pullach. "Bei meinen Handballern hab' ich das 40 Jahre lang gemacht", sagt Deprosse. Die Sportler brachten ihre Kinder mit, Deprosse kam mit dem goldenen Buch. Und mit Naschereien, anders als 1945. "Damals", erinnert sich Deprosse, "war der Auftritt schon besonders genug." Geschenke kamen erst später.

Heute tritt der Nikolaus in Pullach eher vor großen Versammlungen auf, früher ging Deprosse stets geduldig von Klasse zu Klasse. "Das ist ja eine Stärke von mir, dass ich spontan antworten kann und nicht auf einen vorbereiteten Text angewiesen bin ", sagt er. Seinen Auftritt nutzt der begnadete Redner dann auch gerne für eine kleine Lehrstunde über Nikolaus von Myra, den Namensgeber des Feiertages. So auch an diesem Nikolaustag in der Pullacher Grundschule.

Bei seiner außergewöhnlich langen Erfahrung drängt sich natürlich die Frage auf, ob sich das Verhältnis der Kinder zum Nikolaus in den vergangenen 70 Jahren nicht grundlegend verändert habe. "Eigentlich nicht", sagt Deprosse nach kurzem Überlegen. Den Krampus gebe es freilich nicht mehr, das Einschüchtern, das sei lange überholt. Aber bei den Kindern habe zumindest er keine Unterschiede festgestellt. Wenn er als bärtiger Bischof den Raum betritt, sind die Kinder auch heute noch ehrfürchtig ruhig. "In der Grundschule herrscht ja noch eine gewisse Klassendisziplin", sagt der 84-Jährige.

Dankbar empfangen wurde Deprosse übrigens auch jedesmal im Altenheim, wenn er dort von Zimmer zu Zimmer ging. Besonders die Bettlägerigen, sagt er, hätten sich über den Besuch gefreut. "Einige haben dann Nikolaus- und Weihnachtsgedichte aus ihrer Kindheit aufgesagt, die sie noch sehr gut gekonnt haben", erinnert er sich. Im Altenheim hatte er dann auch vor etwa 20 Jahren ein ganz besonderes Nikolaus-Erlebnis: Eine Bewohnerin dort habe einen "Persönlichkeitssturz" erlitten und kein Wort mehr gesprochen, erzählt Deprosse. Das Personal habe ihm abgeraten, die Dame zu besuchen, er sei aber dann doch auf ihr Zimmer gegangen. "Und dann schaut's mich ganz groß an und sagt: ,Ein so ein schöner Nikolaus!' Wahrscheinlich war das eine Kindheitserinnerung, die aus ihr herauskam."

Später verzichtete er dann aber auf die Zimmerbesuche im Seniorenheim. Auch weil es schwierig für ihn sei, wenn dort alte Weggefährten lägen, sagt der 84-Jährige. Als Nikolaus aber will er auch im nächsten Jahr weitermachen, sagt Erwin Deprosse. Allerdings glaubt er auch, dass man einen würdigen Nachfolger findet- "oder eine Nachfolgerin", fügt er hinzu. "Warum nicht?"

© SZ vom 16.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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